Sinnliches Erwachen
Doch nicht jetzt. Sie hatten auf diesen Moment gewartet, hatten sie behauptet. Darauf gewartet, dass ihre Schwester starb, dass Nicolas Emotionen sie als hilfloses Wrack zurückließen. Sie hatten diesen Angriff geplant. Hatten sich vermutlich über Tage und Wochen darauf vorbereitet und darüber gelacht, was für ein leichtes Ziel sie sein würde. Tja, von ihr würden sie keine Befriedigung ernten.
Was mache ich jetzt? fragte sie sich.
Jetzt kämpfe ich.
Tief aus ihrem Innern, wo nichts als Instinkt regierte, stieg der Gedanke empor. Ja. Sie hatte beschlossen, zu kämpfen, und genau das würde sie tun.
Dämonen labten sich an Angst und Verzweiflung – also würde sie ihnen Freude und Hoffnung vorsetzen.
Sie schloss die Augen und dachte an Koldo. Ihren Ehemann. Ihren wunderschönen Ehemann. Er liebte sie, und sie liebte ihn. Was auch kommen mochte. Sie würde ihn aufspüren, und dann würden sie wieder zusammen sein. Falls sie von ihm verlangt hatten, sie aufzugeben – und wenn schon? Sie hatte diesen Bedingungen nicht zugestimmt. Hatte niemandem versprochen, sie würde ihn aufgeben.
Sie würden diesen Krieg gemeinsam führen.
Ihre Hand begann zu brennen.
Flüchtig blickte sie nach unten – und sah, wie ein Schwert aus Flammen in ihrer Faust erschien. Sie schrie auf und hätte die Waffe fast fallen lassen, so groß war ihre Überraschung. Doch irgendwie schaffte sie es, ihren Griff nicht zu lockern. Warm und leicht lag das Heft in ihrer Hand, als sie die knisternden Flammen durch die Luft tanzen ließ.
Jetzt wichen die Dämonen vor ihr zurück, und ihre massigen Leiber zitterten.
„Wo hast du das her?“, japste der eine.
„Das kann nicht sein“, schrie der andere empört.
Schon breiteten sie die Flügel aus, wollten offensichtlich fliehen.
Wenn ich was tun will, dann jetzt.
„Ihr habt euch die Falsche ausgesucht“, sagte sie. Und mit einem Streich enthauptete Nicola die beiden Kreaturen. Ihre Köpfe purzelten, ihre Leiber sackten zu Boden. Schwarzes Blut sammelte sich zu ihren Füßen – und Befriedigung erfüllte ihr Herz.
Die Schlacht hatte begonnen.
Magnus und Malcolm kamen um die Ecke geflogen, beide mit ihren eigenen Flammenschwertern in der Hand.
Ihres war größer.
Sie stockten, als sie Nicola entdeckten.
„Du … du …“
„Wie …“
„Ich bin genauso geschockt wie ihr, also lasst uns das später diskutieren, okay? Wisst ihr, wo Koldo ist?“, fragte sie fordernd.
Es war Zeit, auf die Jagd zu gehen.
35. KAPITEL
Koldo wurde in das unterirdische Nest seines Vaters verschleppt – das in Koldos Unterschlupf in West India Quay verlegt worden war. Die Wände bestanden aus dunklem, zerklüftetem Gestein, und der einst klare Tümpel war jetzt trüb und verfärbt. Ungefähr dreißig mit Lendenschurzen bekleidete Nefas-Soldaten waren hier. Zwischen fleischfarbenen Zelten standen sie umher und warteten darauf, Nox für die Gefangennahme von Koldo zu preisen.
„Zieht ihn aus“, befahl Nox kalt. Das Geschäft der Folter hatte er noch nie ohne Not aufgeschoben.
Acht Frauen beeilten sich, seinem Befehl Folge zu leisten. Ein Oberteil hatte Koldo nicht mehr an, deshalb mussten sie ihm nur die untere Hälfte seines Gewands vom Leib reißen. Scharfe Fingernägel bohrten sich in seine Wunden, und Demütigung brannte sich tief in seine Seele.
Wieder einmal war er zu einer bloßen Marionette degradiert, seinem Vater ausgeliefert, hilflos.
„Fesselt ihn an den Felsen und peitscht auch den Rest von ihm aus.“
Noch ein Befehl, den die Frauen bereitwillig befolgten.
„Aber wehe, ihr genießt es“, fauchte Sirena und gab ihre besitzergreifende Ader zu erkennen.
So konnte er nicht abtreten. Das durfte nicht sein. Sein Leben durfte nicht in einer Niederlage enden.
Doch Koldo war zu schwach, um sich zur Wehr zu setzen, als sie ihn zu einem breiten silbrigen Felsen schleppten und festbanden. Eine Sekunde rollte jede der Frauen eine Peitsche aus und begann, damit auf ihn einzuschlagen. Auf seine Arme, seine Beine und, ja, selbst auf seinen verstümmelten Rücken. Er biss die Zähne zusammen und ertrug es ohne ein Wort, ohne auch nur ein Stöhnen, selbst als ihm die Haut nur noch in Fetzen hing. Er kannte die Regeln der Nefas.
Ein einziger Moment der Schwäche würde ihn auf ewig verfolgen.
Er versuchte sich zu beamen, scheiterte jedoch. Aber selbst im Vollbesitz seiner Kräfte wäre er nicht dazu in der Lage gewesen, das wusste er. Auf der Reise hierher hatte Sirena ihre Krallen in
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