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Sintflut

Sintflut

Titel: Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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drangen nicht weiter vor, da sie eine neue Explosion fürchteten. Ringsum herrschte Totenstille; nur die Holzscheite im Kamin knisterten, der Wind heulte, und der Schnee fiel mehr und mehr durch die ausgefallenen Fenster in den Saal.
    Bald aber vernahm man aus der Ferne Menschenstimmen, Sporengeklirr und Fußtritte, die sich allmählich näherten. Die Tür des Saales wurde weit aufgerissen, und ein Haufen Soldaten stürzte herein.
    Ein kleiner Ritter, ganz in Eisen gehüllt, trat aus der Menge heraus und rief, den gezogenen Säbel in der Hand:
    »Wo ist der Wilnaer Wojewod?«
    »Hier!« sagte Charlamp und zeigte auf den Verstorbenen.
    Pan Wolodyjowski sah hin und sagte:
    »Tot!«
    »Tot! tot!« ging ein Flüstern durch die Reihen der Soldaten. »Der Verräter und Treulose ist gestorben!«
    »Ja,« sagte grimmig Charlamp. »Aber wagen Sie es nicht, seinen toten Körper zu verhöhnen. Vor seinem Tode hat er die heilige Jungfrau angerufen, und sehen Sie, jetzt hat er ihr Bild in den Händen.«
    Charlamps Worte verfehlten nicht, eine starke Wirkung auszuüben.
    Die unwilligen Ausrufe verstummten. Die Soldaten umringten den Diwan und betrachteten den Toten neugierig. Er lag finster da, auf seinem Gesichte waren die Würde eines Großhetmans und die Majestät des Todes ausgeprägt.
    Zagloba entblößte sein Haupt; alle anderen Offiziere folgten seinem Beispiele.
    »Ja«, sprach Wolodyjowski, »er steht jetzt schon vor dem Richterstuhle Gottes und fürchtet keinen menschlichen Richter. – Und du, Unglücklicher,« wandte er sich an Charlamp, »warum hast du dich seinetwegen vom Vaterlande losgesagt?«
    »Greift ihn!« erschollen mehrere drohende Stimmen.
    Charlamp richtete sich auf, nahm seinen Säbel aus der Scheide und warf ihn zu Boden.
    »Hier bin ich, ihr könnt mich töten!« sagte er ruhig. »Ich habe ihn damals nicht verlassen, als ihr ihn verließt, und als er noch mächtig war. Sollte ich ihn dann verlassen, als sein Glück ihn verließ? Das ging nicht an. – Viel war in diesem Dienste nicht zu erwerben, – seht, wie ich aussehe! – Drei Tage lang habe ich nichts gegessen und kann mich kaum noch auf den Beinen halten. – Doch, was geht euch das an? – Tötet mich! – Ich verhehle ja nicht, daß ich ihn geliebt habe«, vollendete er mit zitternder Stimme.
    Er schwankte und wäre hingestürzt, wenn ihn Pan Zagloba nicht gestützt und schnell zu einem Stuhle geführt hätte.
    »Komm nur jemand heran!« schrie der alte Schlachtschitz. »Seht ihr denn nicht, daß der Mann vor Hunger und Ermüdung fast stirbt?« Diese Worte beruhigten die Gemüter der Soldaten. Jemand nahm Pan Charlamp unter den Arm und führte ihn hinaus. Die übrigen begannen auch das Zimmer zu verlassen.
    Auf dem Wege zu seinem Quartiere sprach Wolodyjowski zu Zagloba:
    »Panna Billewicz war nicht hier im Schlosse anwesend.«
    »Woher wissen Sie das?« fragte Zagloba.
    »Ich habe nach ihr gefragt. Boguslaw hat sie mit sich nach Tauroggen genommen.«
    »Oh, oh!« runzelte Zagloba die Stirn, »das heißt den Bock zum Wächter eines Kohlkopfes setzen. Übrigens, das ist nicht Ihre Sache, Ihnen hat das Schicksal eine andere bestimmt. Sie wissen doch, das kleine Hoffräulein der Fürstin Wisniowiecka.« – –

9. Kapitel.
    Mit der Ankunft des Königs in Lemberg wurde diese Stadt zur Metropole der Republik. Zugleich mit dem Könige kamen der größte Teil der Bischöfe und alle jene weltlichen Fürsten, die dem Feinde nicht dienten. Königliche Erlasse riefen die Schlachta der russischen Wojewodschaften unter die Fahnen, und die Herzen der Patrioten freuten sich angesichts dieser Landwehr. Das war eine kriegerische Schlachta, die von Kind auf ans Pferd, an ununterbrochene Überfälle wilder tatarischer Horden, an Blut und Krieg gewöhnt war, und die den Säbel gut zu handhaben verstand. Von allen Seiten strömte die fürchterlich gegen die Schweden erbitterte Schlachta nach Lemberg.
    Die Kosaken verhinderten auch ihrerseits nicht die Vereinigung der Landwehr, sondern sandten sogar zum Könige Abgesandte mit Versicherungen ihrer Treue. Kein Tag verging, ohne daß irgend eine Deputation erschien, – von den litauischen Krontruppen, von den vom Feinde besetzten Wojewodschaften, die ihre Opferwilligkeit für den König und die leidende Republik erklärten. Die Macht des Königs wuchs stündlich und mit ihr das Ansehen der noch unlängst ganz daniederliegenden Republik.
    Der König verbrachte ganze Tage in Beratungen mit Senatoren, empfing

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