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Sintflut

Sintflut

Titel: Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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blickte um sich.
    »Als hätte man mir etwas vom Herzen heruntergewälzt«, sagte er. »Es ist mir leichter geworden.«
    Dann heftete er seinen Blick auf die Tür; nach einer Minute rief er: »Pan Charlamp!«
    »Ich bin hier, Durchlaucht!«
    »Was will Stachowicz von mir?«
    Charlamps Knie begannen zu zittern. Auf dem Schlachtfelde kannte er keine Furcht; allein er war sehr abergläubisch.
    »Stachowicz ist ja nicht hier«, antwortete er mit bebender Stimme. »Euer Durchlaucht ließen ihn ja in Kiejdane erschießen.«
    Der Fürst schloß seine Augen und erwiderte nichts. Es trat Stille ein; von draußen her vernahm man das Heulen und Pfeifen des Sturmes.
    »Als wenn Menschen schluchzen«, begann der Fürst wieder, indem er die Augen öffnete. »Die Schweden hat aber Radziezowski, nicht ich gerufen.«
    Niemand antwortete.
    »Er ist schuldiger als ich, viel, viel schuldiger!«
    Und der Fürst atmete erleichtert auf, als wenn das Bewußtsein, daß es noch einen Schuldigeren gab als er, ihn erleichterte.
    Plötzlich hörte man das Knattern von Gewehren, man schoß aus Musketen, zuerst vereinzelt, dann öfter.
    »Charlamp!« stöhnte Radziwill, »was für ein Datum haben wir heute?«
    »Es ist der letzte Tag des Jahres, Euer Durchlaucht.«
    »Gott, erbarme dich meiner sündigen Seele! Das neue Jahr werde ich nicht erleben. – Mir ist schon lange vorher gesagt worden, daß ich am Silvester sterben werde.«
    »Gott ist barmherzig, Durchlaucht.«
    »Gott ist mit dem Pan Sapieha!« erwiderte der Fürst, indem er wieder um sich blickte. »Es weht kalt von ihm. – Ich sehe ihn nicht, aber ich fühle, er ist hier.«
    »Wer, Durchlaucht?«
    »Der Tod!«
    »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!«
    »Sagen Sie«, sprach der Fürst mit brechender Stimme, »glauben Sie wirklich, daß nur der seine Seele retten wird, der Ihrem Glauben angehört?«
    »Auch im Augenblicke des Todes kann man Buße tun«, antwortete Charlamp.
    Es wurde draußen immer anhaltender geschossen. Die Fensterscheiben klirrten nach jeder Salve in ihrer Fassung.
    Der Fürst begann sich langsam von seinem Lager zu erheben und sich hinzusetzen. Seine Augen weiteten sich, die Augäpfel funkelten.
    »Boguslaw! Boguslaw!« schrie er laut.
    Charlamp floh wie wahnsinnig aus dem Zimmer. Das ganze Schloß erzitterte in seinem Fundament, durch die unaufhörlichen Geschützsalven erschüttert. Plötzlich erscholl ein ohrenbetäubendes Krachen. Charlamp kam eiligst wieder in das Zimmer gestürzt.
    »Die Tore sind in die Luft gesprengt!« schrie er. »Die Schweden sind in den Turm geflohen! Der Feind ist hier, Durchlaucht!«
    Die Worte erstarben auf seinen Lippen. Radziwill saß auf dem Diwan. Mit weit geöffneten Augen starrte er furchtsam in die Ecke des Zimmers. Seine Hände hatten sich konvulsiv in den Bezug der Ottomane gekrallt, seinen bleichen Lippen entflohen fortwährend abgerissene Worte:
    »Radziejowski war das. – Ich nicht! – Sagen Sie, was Sie wollen! – Hier, – nehmen Sie diese Krone! – Das tat Radziejowski! – Leute! helft! Jesus, Jesus, Maria!«
    Das waren Radziwills letzte Worte. Er bekam einen schrecklichen Hustenanfall, rang vergeblich nach Luft, fiel auf den Rücken und blieb leblos liegen.
    »Er ist tot!« sagte der Arzt.
    Charlamp näherte sich der Leiche, nahm das Bild der Mutter Gottes von seinem Halse ab und legte es in Radziwills Hände.
    Da geschah etwas Entsetzliches. Ein blendend greller Lichtschein erleuchtete den Raum, und zu gleicher Zeit erdröhnte ein solches Krachen, wie Menschenohren noch nicht gehört haben. Die Wände schwankten, die Decke spaltete sich und zeigte klaffende Risse. Die Fensterscheiben fielen mit ihren Rahmen klirrend zu Boden und zersprangen in tausend Splitter.
    Durch die Risse in den Wänden wehte der Wind und heulte kläglich in den Ecken des Saales.
    Alle im Zimmer Anwesenden fielen halbtot vor Schreck zu Boden. Zuerst erhob sich Charlamp, sein erster Blick galt der Leiche des Wojewoden. Sie lag noch in derselben Lage, nur das Heiligenbildchen war den Händen entfallen. Charlamp atmete erleichtert auf. Im ersten Augenblicke hatte er geglaubt, daß Höllenscharen sich des Körpers Radziwills bemächtigen wollten.
    »So haben die Schweden ihre Absicht ausgeführt«, sagte er. »Sie haben sich mitsamt dem Turme in die Luft gesprengt.«
    Von außen drang nicht das geringste Geräusch zu den Ohren der Versammelten. Augenscheinlich standen Sapiehas Truppen in stummer Erstarrung, oder sie

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