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Sintflut

Sintflut

Titel: Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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    Verlassen von seinen Verwandten, Freunden, Verbündeten war der stolze Magnat, der dazumal den französischen Hof durch seine Reichtümer blendete, der für mehr denn Zehntausende Gastmähler gegeben hatte, nicht einmal in der Lage, seine schwindenden Kräfte zu stärken. Und – es ist schrecklich zu sagen! er, Radziwill, litt in den letzten Tagen seines Lebens Hunger! Denn schon längst mangelte es in Tykocin an Lebensmitteln, und die gebliebenen kargen Vorräte verteilte der schwedische Kommandant. Der Fürst war zu stolz, um die Vergrößerung der kleinen Rationen zu bitten.
    Und zu alledem quälten den Fürsten Gewissensbisse. In der ganzen Welt gab es keine Zufluchtsstätte, wohin er sich vor ihnen retten konnte. Sie quälten ihn des Nachts und am Tage, im Freien und unter seinem eigenen Dache. Der Gedanke, daß er bald im Jenseits Rechenschaft zu geben habe über seine Taten, machte seine Haare sträuben. Als er seine Hand wider das Vaterland erhob, kam er sich so groß ihm gegenüber vor, und nun hatte sich alles geändert. Jetzt erschien er sich so klein, und die Republik, die sich aus Staub und Blut emporgerichtet hatte, erschien ihm groß und drohend, schrecklich und voll geheimnisvoller Majestät. Er fühlte sich wie ein winziges Schifflein auf dem großen Meere. Wellen umtosten ihn, die drohend mit ihren weißen Schaumkämmen zu ihm heranstürmten und ihn verschlingen mußten. Er sah, daß sein Untergang unvermeidlich war, daß stärkere Hünen denn er in diesem Kampfe erliegen mußten. Warum nur hatte er vordem von dieser geheimnisvollen Kraft nichts gespürt? Warum mußte er, Tor, sich gegen sie auflehnen?
    Er wurde mit jeder Minute mutloser, und ein unbekanntes Gefühl der Furcht zog in sein Herz ein. War das noch sein Land? Waren das noch dieselben Leute wie vordem, die ihn jetzt umgaben? Durch die belagerten Mauern drang alles zu ihm, was in der Republik vorging, und es ging etwas Besonderes, Auffallendes vor: es begann ein Krieg auf Leben und Tod gegen die Schweden und die Verräter. Ein Krieg, der um so schrecklicher war, als ihn niemand vorausgesehen hatte. Die Republik selbst nahm das strafende Schwert in die Hand. Es war die Offenbarung des Zornes Gottes für die darniedergetretene Majestät.
    Als die Nachricht von der Belagerung Czenstochaus sich verbreitete, erschrak selbst Radziwill, der Kalvinist. Und seit der Zeit verließ der Schrecken seine Seele nicht mehr. Damals fühlte er zum ersten Male das Herannahen der geheimnisvollen Flut, die ihn und die Schweden verschlingen würde. Die Binde fiel von seinen Augen, und er hielt den Einfall der Schweden zum ersten Male für einen Diebstahl, für ein Verbrechen. Er sah das veränderte Gesicht seiner Heimat, die fortan keiner Mutter, sondern einer strafenden Gottheit glich.
    Er verstand die Bergvölker, die von den Bergen stiegen und sich gegen die Schweden warfen; er sah, daß jetzt niemand an seinen Vorteil denken durfte, sondern daß ein jeder alles für das Wohl des Vaterlandes einsetzen mußte.
    Aber für ihn war es zu spät. Was konnte er noch opfern? Was war ihm noch geblieben außer seiner schimpflichen Vergangenheit?
    Fürst Radziwill lag in dem tiefen, bodenlosen Abgrund der dunkelsten Verzweiflung, in den ihn sein Ehrgeiz und sein Egoismus gestürzt hatten. – –
    Es war einige Tage nach der Abreise des Witebsker Wojewoden. Der einunddreißigste Dezember nahte sich seinem Ende. Sapiehas Truppen, die vergeblich versucht hatten, die Tore des Schlosses in die Luft zu sprengen, bereiteten einen neuen Sturm vor.
    Der Fürst lag in einem Eckzimmer im westlichen Flügel des Schlosses. In dem ungeheuren Kamine brannten dicke Scheite Kiefernholz, deren Licht sich an den weißen Wänden widerspiegelte. Radziwill lag auf einer Ottomane, die dicht an den Kamin gerückt war. Um ihn herum saßen auf Stühlen ein Page, die frühere Haushälterin in Kiejdane, Pani Jakimowiczowa, der Arzt, der zugleich Astrolog war, und Charlamp.
    Dieser hatte den Fürsten nicht verlassen, obwohl ihm sein Dienst sehr schwer fiel. Sein Herz zog ihn nach außerhalb der Tykociner Mauern, in Sapiehas Lager; aber er wollte seinem Eide und seinem alten Feldherrn nicht untreu werden. Unter den ausgestandenen Entbehrungen war er wie ein Skelett abgemagert. Er war vor kurzem von den Festungsmauern gekommen und schlummerte vor Ermüdung trotz des ununterbrochenen Hustens des Fürsten und des Heulens des Windes im Schornsteine.
    Plötzlich fuhr der Fürst zusammen und

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