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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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an alles, was sie sich wünschte, erhalten hatte. Aber bereits als Kind war sie dem Gott geweiht und deshalb im Haus der Stiere erzogen worden. Dort lebte sie, wenn sie nicht gerade im Palastbezirk oder bei ihrem alten Gönner oder bei irgendeiner Freundin wohnte; denn die Kreter sind im Wohnen ebenso launisch wie im übrigen Leben.
    Ich war neugierig, das Haus der Stiere zu sehen, und wir gingen daher wieder in den Empfangssaal des Palastes hinunter, um Abschied von Mineas Gönner zu nehmen, der bei meinem Anblick höchlich erstaunt tat und fragte, ob wir uns nicht bereits einmal gesehen hätten, da ich ihm bekannt vorkomme. Alsdann führte Minea mich zum Haus der Stiere, das mit seinen Stallungen, Feldern, Zuschauertribünen, Schulgebäuden und Priesterwohnstätten eine ganze Stadt für sich bildete. Im scharfen Geruch der Tiere schritten wir von Stall zu Stall, und Minea wurde nicht müde, die Tiere mit Kosenamen zu nennen und zu locken, obgleich sie dumpf brüllend mit ihren Hufen im Sande bohrten, sie mit rotflammenden Augen bösartig anstarrten und sie durch den Verschlag mit den Hörnern zu stoßen versuchten.
    Minea begegnete auch Jünglingen und Mädchen, die sie kannte, obwohl die zum Stiertanz Auserwählten im allgemeinen nicht miteinander befreundet waren, weil sie sich gegenseitig um ihre Fertigkeit beneideten und einander die Kunstgriffe nicht lehren wollten. Die Priester hingegen, welche die Stiere abrichteten und die Tänzer und die Tänzerinnen ausbildeten, empfingen uns freundlich; und als sie vernahmen, daß ich Arzt sei, richteten sie allerlei Fragen über die Verdauung der Stiere, die rätlichen Futtermischungen und den Glanz der Felle an mich, obwohl sie wahrscheinlich mehr als ich von diesen Dingen verstanden. Minea stand bei ihnen hoch in Gunst; denn sie erhielt sofort für die Wettbewerbe des folgenden Tages einen Stier und eine Nummer zugeteilt. Ich erkannte, daß sie darauf brannte, mir ihre Kunst vor den besten Stieren zu zeigen.
    Schließlich führte mich Minea in ein kleines Gebäude, wo der Oberpriester des kretischen Gottes und der Stiere in Abgeschlossenheit hauste; denn wenn Minos auch dem Namen nach der höchste Priester war, fand er doch, gleich jedem anderen Kreter, neben dem Handel und den Regierungsgeschäften nicht genügend Zeit, um sich mehr mit den Stieren abzugeben, als für den Abschluß von Wetten unerläßlich war. Wie der König immer Minos hieß, so trug der Oberpriester stets den Namen Minotaurus. Aus irgendeinem Grund war er der am meisten gefürchtete und geachtete Mann Kretas, so daß man seinen Namen nicht gerne laut aussprach, sondern ihn nur »den Mann im kleinen Stierhaus« nannte. Sogar Minea fürchtete sich vor dem Besuch bei ihm, obwohl sie es mir nicht gestand; aber ich las es in ihren Augen, deren leiseste Veränderung ich zu deuten gelernt hatte.
    Nachdem wir uns angemeldet hatten, empfing er uns in einem dämmerigen Zimmer. Beim ersten Anblick vermeinte ich, den Gott selbst zu sehen, und glaubte auch an alle Sagen, die ich über Kreta vernommen hatte. Denn vor uns stand ein Mann mit menschlicher Gestalt, aber mit einem goldenen Stierhaupt an Stelle eines Menschenkopfes. Als wir uns vor ihm verbeugten, nahm er das goldene Stierhaupt ab und entblößte sein Gesicht. Obgleich er mich höflich anlächelte, gefiel er mir nicht, denn sein ausdrucksloses Gesicht hatte harte, grausame Züge; im übrigen aber war er ein schöner, sehr dunkler Mann, der zum Befehlen geboren schien und eigentlich keinen schlechten Eindruck machte. Minea brauchte ihm keine Erklärungen abzugeben; denn er wußte bereits alles über ihren Schiffbruch und ihre Reisen und stellte keine überflüssigen Fragen, sondern dankte mir für das Wohlwollen, das ich Minea und damit auch Kreta und seinem Gott erwiesen hatte, und sagte, daß in der Herberge reiche Geschenke meiner harrten, mit denen ich vermutlich zufrieden sein werde.
    »Ich kümmere mich nicht um Geschenke«, erwiderte ich. »Mir ist Wissen wichtiger als Gold, und ich habe viele Länder bereist, um meine Kenntnisse zu bereichern. Ich kenne nunmehr die Götter Babylons und der Hetiter und hoffe jetzt auch den Gott Kretas kennenzulernen, von dem ich so viel Wunderbares vernommen habe, soll er doch unberührte Jungfrauen und reine Jünglinge lieben, während die Tempel der Götter Syriens Freudenhäuser sind und von entmannten Priestern bedient werden.«
    »Wir haben zahlreiche Götter, die das Volk verehrt«, sagte er. »Auch gibt

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