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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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sein mußt; denn du hast wohl in den fremden Ländern nicht einmal täglich baden können, oder wie? Und ich glaube auch nicht, daß die Stiere zu Babylon mit den unsrigen vergleichbar sind. Aber das erinnert mich daran, daß ich schon längst bei Minos sein sollte, was ich ganz vergessen habe. Ich tue daher wohl am besten daran, mich sofort hinzubegeben, ohne mich erst umzuziehen. Da immer so viele Leute dort sind, wird ohnehin keiner auf meine Kleidung achten. Eßt und trinkt also, liebe Freunde, und du, Minea, beruhige dich! Falls meine Frau kommen sollte, sagt ihr, daß ich zu Minos vorausgegangen bin, weil ich sie bei ihrem Vergnügen mit dem Stiertänzer nicht stören wollte. Eigentlich könnte ich ebensogut zu Bett gehen, denn bei Minos wird kaum jemand bemerken, ob ich anwesend bin oder nicht; aber mir ist eingefallen, daß ich einen Blick in die Stallungen werfen und mich nach dem Befinden des neuen Stieres, der einen Fleck an der Seite hat, erkundigen könnte; darum gehe ich. Ein ganz außergewöhnlicher Stier!« Er nahm zerstreut Abschied, aber Minea erklärte: »Wir gehen mit zu Minos, dort werde ich allen Freunden begegnen und ihnen Sinuhe vorstellen.«
    Wir machten uns also auf den Weg nach dem Palast Minos’, und zwar gingen wir zu Fuß hin, weil sich der alte Mann nicht entscheiden konnte, ob es sich lohnte, für den kurzen Weg eine Sänfte zu nehmen oder nicht. Erst als wir in den Palast gelangten, verstand ich, daß Minos ihr König war, und ich erfuhr, daß der König Kretas immer Minos heiße, damit sie ihn von allen anderen Königen unterscheiden könnten. Niemand aber wußte, der wievielte Minos der jetzige war; denn keiner hatte genügend Geduld besessen, sie alle zu zählen und im Gedächtnis zu behalten: eines schönen Tages verschwindet ein Minos, um von einem neuen gleichnamigen ersetzt zu werden, der in jeder Hinsicht dem vorigen gleicht: und deshalb wandelt sich auch nichts auf Kreta.
    Der Palast enthielt unzählige Räume, und an den Wänden des Empfangssaales sah man Seetang schaukeln und in durchsichtigem Wasser Tintenfische und Medusen schwimmen. Der große Saal war voll von Menschen. Einer war seltsamer und üppiger gekleidet als der andere, und alle waren in lebhafte Gespräche miteinander vertieft, lachten laut und tranken aus kleinen Bechern kühle Getränke, Wein und Obstsäfte, und die Frauen verglichen gegenseitig ihre Kleider. Minea stellte mich vielen ihrer Freunde vor, die alle gleich höflich und zerstreut wirkten, und König Minos redete mich in meiner eigenen Sprache an und äußerte ein paar freundliche Dankesworte, weil ich Minea ihrem Gott gerettet und sie zurückgebracht hatte, so daß sie bei erster Gelegenheit das Haus des Gottes betreten durfte, nachdem sie hierfür längst durch das Los an die Reihe gekommen.
    Minea, die in dem Palast wie zu Hause war, führte mich von einem Raum in den anderen, stieß beim Anblick ihr wohlbekannter Gegenstände entzückte Rufe aus und grüßte die Diener, die sie ihrerseits grüßten, als wäre sie überhaupt nicht fort gewesen. Minea erklärte mir übrigens, daß sich jeder vornehme Kreter nach Belieben auf sein Landgut oder auf eine Reise begeben konnte, ohne seine Freunde davon zu benachrichtigen; seine Entfernung oder Abwesenheit wurde nicht beachtet, und so konnte er sich bei seiner Rückkehr zu den anderen gesellen, als ob nichts vorgefallen wäre. Das ließ sie sicherlich auch den Tod leichtnehmen; denn wenn jemand verschwand, fragte keiner nach ihm, und er wurde vergessen. Und wenn jemand zu einer Zusammenkunft oder einem Gastmahl vergeblich erwartet wurde, wunderte sich doch niemand über sein Ausbleiben; denn es konnte ihm ja inzwischen etwas anderes eingefallen sein.
    Schließlich führte mich Minea in einen reizenden Pavillon, der oberhalb des Palastgebäudes an einem Berghang gelegen war und aus seinem großen Fenster eine freie Aussicht über lächelnde Felder und Äcker, über Olivenhaine und Pflanzungen außerhalb der Stadt bot. Das war ihre eigene Wohnung, und sie erklärte, alles darin befinde sich an seinem Platz, als habe sie es erst gestern verlassen; doch seien die Kleider und Schmuckstücke in ihren Kisten und Schreinen veraltet, und sie könne sie daher nicht länger tragen. Erst jetzt erfuhr ich, daß sie aus dem Herrschergeschlecht Kretas stammte, was mir allerdings bereits ihr Name hätte verraten sollen. Deshalb legte sie auch keinen Wert auf Gold und Silber und kostbare Geschenke, da sie von Kindheit

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