Sinuhe der Ägypter
der Anblick ihrer Gesichter und ihrer Brüste gefiel mir, obgleich sie etwas beleibter und leichtsinniger als du zu sein scheinen.«
Da packte sie mich heftig beim Arm, ihr Atem ging stoßweise, und mit flammenden Augen sagte sie: »Ich gestatte dir nicht, dich mit meinen Freundinnen zu unterhalten, wenn ich nicht dabei bin! Mir zuliebe könntest du wenigstens warten, bis ich nicht mehr da bin, Sinuhe. Obgleich ich in deinen Augen sicherlich zu mager bin, woran ich übrigens bis jetzt noch nie gedacht habe, kannst du aus Freundschaft für mich verzichten, wenn ich darum bitte.«
»Ich habe bloß gescherzt«, sagte ich, »und will dich gewiß nicht stören; denn du hast natürlich noch vieles zu besorgen, bevor du das Haus des Gottes betrittst. Ich gehe daher in die Herberge, um Kranke zu heilen; im Hafen gibt es viele, die meiner Kunst bedürfen.«
Ich entfernte mich, und noch lange spürte ich in der Nase den Geruch der Stiere. Niemals werde ich den Gestank im Stierhaus auf Kreta vergessen können, und heute noch macht mich der Anblick und der Geruch einer Stierherde krank, so daß ich nichts essen kann und das Herz mich schmerzt. Ich ging also zur Herberge und empfing Patienten, linderte ihre Schmerzen und heilte sie, bis es dunkler Abend ward und die Lichter in den Freudenhäusern des Hafenviertels angezündet wurden. Durch Wände und Mauern hindurch vernahm ich Musik und Lachen und alle Stimmen menschlicher Sorglosigkeit; denn auch die Sklaven und Diener auf Kreta hatten von der Unbekümmertheit ihrer Herren gelernt, und ein jeder lebte, als müßte er niemals sterben und als gäbe es weder Schmerz noch Kummer noch Trauer auf der Welt.
Ich saß in meinem dunklen Zimmer, in welchem Kaptah bereits die Schlafmatten ausgebreitet hatte, und wollte keine Lampe anzünden. Der Mond ging groß und leuchtend auf, obwohl er noch nicht voll war, und ich fühlte, daß ich ihn haßte, weil er mich von der einzigen, die ich im Leben als meine Schwester betrachtete, trennen würde. Ich haßte auch mich selbst, weil ich schwach und furchtsam war und nicht wußte, was ich tun wollte. Da ging die Tür auf, Minea trat leise ein und blickte um sich; sie war nicht mehr nach kretischer Art gekleidet, sondern trug das gleiche schlichte Gewand, in welchem sie in vielen Ländern vor hoch und niedrig getanzt, und das Haar hatte sie mit einem goldenen Band durchflochten.
»Minea!« sagte ich erstaunt. »Weshalb kommst du zu mir, statt dich, wie ich glaubte, für deinen Gott vorzubereiten?«
Sie aber sprach: »Rede leiser, damit uns niemand hört!« Sie setzte sich neben mich, betrachtete den Mond und sagte launig: »Mein Lager im Haus der Stiere gefällt mir nicht, und ich fühle mich nicht wie früher wohl unter meinen Freunden. Aber weshalb ich gerade zu dir in diese Herberge des Hafenviertels gekommen bin, obgleich sich dies nicht schickt, kann ich nicht sagen. Wenn du schlafen willst, werde ich dich nicht stören, sondern wieder gehen. Als ich keinen Schlaf finden konnte, bekam ich Lust, noch einmal den Duft von Arzneien und Kräutern zu spüren und Kaptah wegen seiner törichten Reden beim Ohr zu nehmen und beim Haar zu zupfen. Das Reisen und die fremden Völker haben mir zweifellos den Sinn verwirrt, da ich das Haus der Stiere nicht mehr wie einst als mein Heim empfinden noch mich über den Beifall in der Arena freuen oder gar Sehnsucht nach dem Haus des Gottes verspüren kann. Der Menschen Reden um mich herum klingen in meinen Ohren wie das Lallen einfältiger Kinder, ihre Freude ist wie Wellenschaum am Strand, und ihre Vergnügungen ergötzen mich nicht mehr. Mein Herz gleicht einer leeren Höhle, auch mein Kopf ist hohl, und ich hege keinen einzigen Gedanken mehr, den ich mein eigen nennen könnte; alles tut mir weh, und noch nie zuvor ist mir so traurig zumute gewesen. Deshalb bitte ich dich, meine Hand wie einst eine Weile in der deinigen zu halten; denn ich fürchte nichts mehr, nicht einmal den Tod, wenn du, Sinuhe, nur meine Hände hältst, obwohl ich weiß, daß du lieber schönere und beleibtere Frauen als mich betrachtest und bei der Hand hältst.«
Ich sprach zu ihr: »Minea, meine Schwester, meine Kindheit und Jugend waren wie ein klarer tiefer Bach, meine späteren Jahre aber gleichen einem großen Fluß, der sich weit ausbreitet und viel Erde bedeckt, dessen Wasser aber seicht ist, im Laufe stockt und fault. Doch als du zu mir kamst, Minea, sammeltest du alle Wasser, daß sie sich jubelnd in ein tiefes Bett
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