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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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schreckenerregend im Mondschein, als er sich dem Festtanz der anderen anschloß. Bei seinem Anblick vermochte ich mich nicht mehr zu beherrschen, sondern erhob mich, stürmte auf ihn zu, packte ihn bei den Armen und fragte: »Wo ist Minea?« Er schüttelte meine Hände ab und wiegte den Stierkopf; doch als ich nicht von ihm wich, entblößte er das Gesicht und sprach zornig: »Es ist nicht gestattet, die heiligen Riten zu stören. Da du es aber als Fremder wohl nicht weißt, will ich dir verzeihen, wenn du mich nicht mehr anrührst.«
    »Wo ist Minea?« wiederholte ich meine Frage, und schließlich beantwortete er sie, indem er sagte: »Ich habe Minea, wie vorgeschrieben, in der Finsternis des Gotteshauses gelassen und bin selbst zurückgekehrt, um mich an dem Festtanz zu Ehren des Gottes zu beteiligen. Was willst du noch von Minea? Dafür, daß du sie zurückgebracht, hast du ja deinen Lohn bereits erhalten.«
    »Wie konntest du zurückkommen, wenn es ihr nicht möglich war?« fragte ich und drängte mich dicht vor ihn hin; er aber stieß mich von sich, und alsbald trennten uns die Tanzenden. Kaptah nahm mich beim Arm und zog mich beiseite. Das war sicher klug gehandelt; denn ich weiß nicht, was sonst geschehen wäre. Er sagte: »Du bist töricht, so viel Aufhebens zu machen, und tätest besser daran, mit den anderen zu tanzen, zu lachen und zu singen; sonst könnte es dir schlecht ergehen. Auch kann ich dir verraten, daß Minotaurus durch die kleine Pforte neben den Kupfertoren herausgekommen ist. Darin liegt nichts Seltsames; denn ich habe mir die Pforte selbst angeschaut und gesehen, wie ein Wächter sie zuschloß und den Schlüssel zu sich nahm. Aber ich rate dir, Herr, Wein zu trinken, um dich zu beruhigen. Dein Gesicht ist verzerrt wie das eines Besessenen, und deine Augen sind starr wie die einer Eule.«
    Er gab mir Wein zu trinken, und während das Licht der Fackeln vor meinen Augen hin und her flackerte, schlief ich im Mondschein auf der Wiese ein; denn angesichts meines Zustandes hatte Kaptah in seiner Falschheit Mohnsaft in den Wein gemischt. Somit rächte er sich für das, was ich in Babylon zur Rettung seines Lebens getan; er steckte mich aber nicht in einen Krug, sondern breitete eine Decke über mich aus und hinderte die Tanzenden daran, auf mich zu treten. Vielleicht rettete er mir dadurch jetzt seinerseits das Leben; denn in meiner Verzweiflung hätte ich vielleicht Minotauros das Messer in den Leib gerannt und ihn getötet. Die ganze Nacht saß Kaptah bei mir, bis der Weinkrug leer war, worauf er neben mir einschlief und mir den Weindampf ins Ohr blies.
    Erst spät am folgenden Tag erwachte ich. Das Mittel war so stark gewesen, daß ich mich anfangs nicht erinnern konnte, wo ich mich befand. Als ich mich schließlich dessen und der vorangegangenen Ereignisse entsann, war ich ganz ruhig und klar im Kopf und tobte dank der Arznei nicht von neuem. Viele Teilnehmer des Festzuges waren bereits in die Stadt zurückgekehrt. Aber einige schliefen immer noch in den Gebüschen, Männer und Frauen durcheinander mit schamlos entblößten Leibern, denn sie hatten bis zum Morgen Wein getrunken und getanzt. Beim Erwachen zogen sie sich wieder an, und die Frauen ordneten ihr Haar.
    Sie fühlten sich mit dem Dasein nicht zufrieden, weil sie nicht baden konnten; denn das Wasser der Bäche war zu kalt für sie, die an das aus den Silberhähnen ihrer Badezimmer rinnende heiße Wasser gewohnt waren. Aber sie spülten sich den Mund, rieben sich die Gesichter ein, malten die Lippen, färbten die Augenbrauen, gähnten und fragten einander: »Wer bleibt hier, um Minea zu erwarten? Und wer kehrt in die Stadt zurück?« Die meisten hatten genug von den Spielen auf den Wiesen und in den Gebüschen und kehrten im Laufe des Tages in die Stadt zurück, und nur die jüngsten und hitzigsten von Mineas Freunden blieben beim Haus des Gottes, um sich weiter miteinander zu ergötzen. Als Grund für ihr Verweilen schützten sie vor, auf Mineas Rückkehr zu warten, obgleich noch nie jemand aus dem Haus des Gottes zurückgekommen war. Sie taten es ganz einfach darum, weil sie in der Nacht jemand gefunden hatten, der ihnen gefiel; die Frauen aber benützten die Gelegenheit, ihre Männer in die Stadt zurückzuschicken, um sie loszuwerden. Als ich dies sah, verstand ich, warum es, außer im Hafen, in der Stadt kein einziges Freudenhaus gab. Nachdem ich an diesem Tag und in der darauffolgenden Nacht ihre Spiele beobachtete, begriff ich

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