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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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folgten, lachten und lärmten und bewarfen sie mit Blumen und blieben am Straßenrand zurück, um Wein zu trinken. Der Weg war lang; aber alle führten reichlich Mundvorrat mit, brachen Zweige von den Olivenbäumen und fächelten einander Kühlung damit zu und erschreckten die Schafe armer Bauersleute und sannen allerlei andere Streiche aus. Das Haus des Gottes lag an einem einsamen Ort, am Fuß eines Berges, unweit des Meerufers. Als wir uns ihm näherten, verstummte das Gelächter, und alle redeten nur noch flüsternd miteinander.
    Wie das Haus des Gottes aussah, läßt sich nicht leicht beschreiben. Es glich einer mit Gras und Blumen bewachsenen Anhöhe, die sozusagen in den Berg überging. Der Zutritt war durch hohe Kupfertore gesperrt, vor denen ein kleiner Tempel stand, wo die Weihe vor sich ging und die Wächter des Gottes wohnten. Erst gegen Abend langte der Festzug dort an. Mineas Freunde stiegen aus ihren Sänften, ließen sich auf dem Rasen nieder, aßen, tranken, trieben allerlei Schabernack und dachten schon nicht mehr daran, sich wie beim ersten Anblick des Gotteshauses feierlich zu verhalten; denn die Kreter sind kurz von Gedächtnis. Bei Eintritt der Dunkelheit zündeten sie Fackeln an und schäkerten miteinander in den Gebüschen, aus denen das Kreischen der Frauen und das Lachen der Männer durch die Finsternis drangen, während Minea allein im Tempel blieb. Denn niemand durfte sich ihr mehr nähern.
    Von ferne betrachtete ich sie, wie sie im Tempel saß. Gleich dem Bildnis einer Göttin trug sie ein goldenes Gewand und eine hohe goldene Kopfbedeckung, und sie versuchte mir zuzulächeln; aber in ihrem Lächeln lag keine Freude. Nachdem der Mond aufgegangen, nahm man ihr das goldene Kleid und den Schmuck ab, hüllte sie in Schleier und band ihr Haar in ein Silbernetz. Darauf entriegelten die Wächter die Kupfertore, die sich mit dumpfem Dröhnen auftaten, wobei jeder Flügel von zehn Mann geschoben werden mußte; dahinter gähnte Finsternis. Keiner äußerte mehr ein Wort; es herrschte tiefes Schweigen. Minotauros umgürtete sich mit seinem Schwert und setzte das goldene Stierhaupt auf, so daß er nicht mehr einem Menschen glich. Minea erhielt eine brennende Fackel in die Hand, und Minotauros geleitete sie in das dunkle Haus, bis sie beide dahinschwanden und der Fackelschein verblaßte. Nun wurden die dröhnenden Kupfertore wieder zugeschoben und mit den mächtigen Riegeln verschlossen, wozu es der Kraft vieler starker Männer bedurfte, und ich sah Minea nicht mehr.
    Bei diesem Geschehen befiel mich eine so unsägliche Verzweiflung, daß mein Herz einer offenen Wunde glich, durch die mir alles Blut aus dem Körper strömte und alle Kraft mich verließ, bis ich in die Knie brach und mit dem Gesicht auf die Erde sank. In jenem Augenblick erkannte ich mit unumstößlicher Gewißheit, daß ich Minea niemals wiedersehen werde, obgleich sie mir versprochen hatte, aus dem Haus des Gottes zu mir zurückzukehren, um mit mir zu leben. Ich wußte, daß sie nie mehr wiederkehren würde; aber wieso ich es zu jener Stunde wußte, kann ich nicht sagen. Bis dahin hatte ich noch im ungewissen geschwebt, hatte geglaubt und gezweifelt, gefürchtet und gehofft und mir einzubilden versucht, daß der Gott Kretas sich anders als alle anderen Götter verhalten und Minea um ihrer Liebe willen, die sie an mich fesselte, entlassen würde. Jetzt aber hegte ich keine Hoffnung mehr, sondern lag mit dem Gesicht auf dem Boden, während Kaptah neben mir kauerte und, den Kopf in den Händen wiegend, jammerte. Die Reichen und Vornehmen Kretas aber zündeten ihre Fackeln an, liefen mit diesen an mir vorbei, führten kunstreiche Tänze auf und sangen Lieder, deren Worte ich nicht erfaßte. Als sich die Kupfertore geschlossen, wurden alle von einer großen Aufregung befallen: in toller Ausgelassenheit sprangen und tanzten sie bis zur Erschöpfung, und ihr Rufen klang in meinen Ohren wie Krächzen der Raben von einer Mauer herab.
    Nach einer Weile hielt Kaptah in seinem Wehklagen inne und sprach: »Wenn mein Auge mich nicht trügt – was nicht der Fall sein dürfte, nachdem ich noch nicht genügend getrunken, um die Dinge doppelt zu sehen –, so ist das gehörnte Haupt aus dem Berg herausgekommen, wenn ich auch nicht verstehe, auf welchem Weg es geschah, da niemand die Kupfertore geöffnet hat.«
    Seine Aussage stimmte. Minotauros war wirklich aus dem Haus des Gottes zurückgekehrt, und sein goldenes Stierhaupt glänzte

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