Sinuhe der Ägypter
hier nicht aufzählen mag. Wenn ich dich also in meiner Eigenschaft als Diener nicht begleiten darf, nachdem du mir befohlen hast, dich zu verlassen und ich deinen Befehlen, selbst wenn sie dumm sind, Folge leisten muß, so begleite ich dich als Freund, weil ich dich nicht allein lassen kann. Am allerwenigsten lasse ich dich ohne den Skarabäus, wiewohl ich gleich dir bezweifle, daß uns der Skarabäus bei diesem Unternehmen behilflich sein kann.«
Er sprach so ernsthaft und nachdenklich, daß ich den einstigen Kaptah gar nicht in ihm wiederzuerkennen vermochte. Er jammerte auch nicht wie sonst. Aber meines Erachtens war es töricht, daß ihrer zwei in den Tod gehen sollten, wenn es mit meinem einzigen genügte. Das sagte ich ihm auch und ermahnte ihn nochmals, seines Weges zu gehen und keinen Unsinn zu schwatzen. Er aber erklärte halsstarrig:
»Wenn du mir nicht gestattest, mit dir zu gehen, so werde ich dir nachkommen, und das kannst du nicht verhindern; aber ich würde lieber gleichzeitig mit dir gehen, weil ich mich schrecklich vor der Finsternis fürchte. Auch sonst fürchte ich mich so sehr vor diesem dunklen Haus, daß sich beim bloßen Gedanken daran die Knochen meines Leibes in Wasser verwandeln. Deshalb hoffe ich, daß du mir gestattest, einen Krug Wein mitzunehmen, damit ich mir unterwegs Mut antrinken kann, weil ich sonst vor Angst zu schreien und dich zu stören fürchte. Es lohnt sich nicht für mich, eine Waffe mitzunehmen; ich bin ein gutmütiger Mann und verabscheue jedes Blutvergießen und habe mich stets mehr auf meine Beine als auf Waffen verlassen. Wenn du also vorhast, dich auf einen Kampf mit dem Gott einzulassen, mußt du ihn allein durchführen, während ich zuschaue und dich mit guten Ratschlägen ermuntere.«
Ich sagte: »Hör auf mit deinem Geschwätz und nimm, wenn du willst, einen Krug Wein mit! Aber laß uns jetzt gehen! Ich glaube, die Wächter schlafen bereits, betäubt von dem Wein, den ich ihnen gemischt habe.«
Die Wächter schliefen tatsächlich tief, und auch der Priester schlief, so daß ich ohne Schwierigkeit den Schlüssel zu des Minotauros’ Tür von seinem Platz im Hause des Priesters, wo ich ihn entdeckt hatte, holen konnte. Wir nahmen auch ein Feuerbecken und Fackeln mit, die wir zwar noch nicht anzündeten, weil man beim Mondschein noch gut sah und die kleine Pforte sich mit dem Schlüssel unschwer öffnen ließ. So betraten wir das Haus des Gottes und schlossen die Tür hinter uns. Im Dunkeln hörte ich Kaptahs Zähne gegen den Rand des Weinkruges schlagen.
5
Nachdem Kaptah sich Mut angetrunken, sprach er mit matter Stimme: »Herr, laß uns eine Fackel anzünden! Ihr Schein dringt von hier nicht bis ins Freie. Diese Finsternis jedoch ist schlimmer als das Dunkel des Totenreiches, dem niemand entgehen kann, während wir uns in dieses freiwillig hineinbegeben haben.«
Ich blies auf die Glut und zündete eine Fackel an: da sah ich, daß wir uns in einer großen Höhle befanden, deren Zugang die Kupfertore versperrten. Von dieser Höhle aus liefen zehn, durch mächtige Ziegelmauern voneinander getrennte Gänge in verschiedene Richtungen. Hierauf war ich jedoch vorbereitet gewesen, weil ich vernommen hatte, daß der Gott Kretas in einem Labyrinth wohne und die Priester von Babylon mich gelehrt hatten, daß die Labyrinthe nach dem Vorbild der Gedärme der Opfertiere gebaut werden. Deshalb glaubte ich, den richtigen Weg finden zu können, wenn ich mich nach der Ordnung der bei den Opferhandlungen beobachteten Stiergedärme richtete; denn ich dachte mir, daß das Labyrinth auf Kreta zweifellos einst nach dem Muster der Gedärme der Stiere angeordnet worden sei. Ich zeigte Kaptah den am deutlichsten seitwärts führenden Gang und sagte: »Hier wollen wir eindringen!«
Kaptah aber sprach: »Wir haben wohl keine besondere Eile, und Vorsicht bringt kein Boot zum Kentern. Es ist daher ratsam, uns vorzusehen, daß wir einander nicht verlieren, und vor allem, daß wir den Weg hierher zurückfinden – für den Fall, daß wir überhaupt wiederkehren können, was ich jedoch sehr bezweifle.« Nach diesen Worten zog er einen Garnknäuel aus seiner Tasche und knüpfte das Ende an einen Knochensplitter, den er zwischen zwei Ziegeln festklemmte. Dieser Einfall war bei aller Einfachheit so gescheit, daß ich nie daraufgekommen wäre, was ich ihm jedoch nicht verriet, um meine Würde nicht in seinen Augen herabzusetzen. Deshalb hieß ich ihn bloß in barschem Ton, sich zu beeilen.
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