Sinuhe der Ägypter
nicht länger Schmerz und Kummer, sondern lebte wie eine süße Qual in meinem Innern, etwa wie das Gefühl, das man morgens beim Erwachen aus einem Traum empfindet, der holder als das Leben war. Deshalb freute ich mich, ihr begegnet zu sein; und von all den Stunden, die ich mit ihr verbracht, hätte ich keine einzige missen wollen, weil ich fühlte, daß mein Maß des Erlebens ohne die Begegnung mit ihr knapper gewesen wäre. Das Galionsbild des Schiffes bestand aus kaltem bemaltem Holz; aber es trug das Antlitz eines Weibes. Und wie ich so neben ihm stand, das Gesicht vom Wind umfächelt, fühlte ich die Manneskraft in mir erwachen und wußte, daß ich in meinem Leben noch vielen Frauen nahekommen würde, weil der Einsame friert, wenn er in kalten Nächten allein schlafen muß. Aber ich glaubte auch, daß alle Frauen für mich bloß kaltes bemaltes Holz sein würden und daß ich, wenn ich sie im Dunkel umfing, stets nur Minea in ihnen suchen würde, den Mondschein in den Blicken, die Wärme des schlanken Leibes und den Zypressenduft der Haut. So nahm ich beim Galionsbild des Schiffes Abschied von Minea.
Mein Haus in Simyra stand noch, obwohl Diebe die Fensterluken aufgebrochen und alles fortgetragen hatten, was des Stehlens wert war und was ich nicht ins Magazin des Handelshauses zur Aufbewahrung gebracht hatte. Während meiner langen Abwesenheit hatten die Nachbarn den Platz vor meinem Haus in eine Abladesteile für Kehricht und einen Abtritt verwandelt, so daß ein widerwärtiger Gestank herrschte und mir Ratten zwischen den Füßen hindurchliefen und Spinnengewebe durch die Türöffnungen fegten. Meine Nachbarn zeigten beim Wiedersehen keinerlei Freude, sondern wandten sich von mir ab und sprachen zueinander: »Er ist Ägypter, und alles Schlechte kommt aus Ägypten.« Deshalb kehrte ich zuerst in einer Herberge ein und ließ Kaptah mein Haus in Ordnung bringen, um es wieder bewohnbar zu machen, und besuchte inzwischen die Handelshäuser, in denen ich mein Geld angelegt hatte. Nach dreijähriger Abwesenheit war ich nun bettelarm nach Simyra zurückgekehrt, und außer den Erträgnissen aus meiner Heilkunst hatte ich auch alles von Haremhab erhaltene Gold verloren, von dem ein großer Teil Mineas wegen bei den Priestern Babylons zurückgeblieben war.
Die großen Reeder der Handelshäuser waren höchlich erstaunt, mich wiederzusehen. Ihre Nasen wurde noch länger, als sie bereits waren, und sie kratzten sich nachdenklich den Bart; denn sie hatten sich schon eingebildet, mich zu beerben, nachdem ich so lange fortgeblieben war. Aber sie legten ehrlich Rechenschaft ab; und wenn auch einige Schiffe in Seenot geraten und mein Anteil an ihnen verloren war, so hatten andere dafür reichlichen Gewinn abgeworfen. Nach der Schlußrechnung zeigte es sich, daß ich bei meiner Rückkehr reicher war, als ich bei meiner Abreise gewesen, und daß ich mir keine Sorgen darüber zu machen brauchte, wovon ich in Simyra leben sollte.
Meine langnasigen Freunde, die Schiffsreeder, luden mich indes in ihre Zimmer ein, boten mir Wein und Honiggebäck an und sprachen: »Sinuhe, du bist unser Arzt und in jeder Beziehung unser Freund. Aber du bist ein Ägypter; und wenn wir auch gerne Handel mit Ägypten treiben, sehen wir es doch weniger gern, daß sich ein Ägypter bei uns heimisch macht und bereichert. Denn das Volk murrt und ist der Steuern überdrüssig, die es dem Pharao entrichten muß. Wir wissen nicht, wie eigentlich alles begonnen hat – aber es ist vorgekommen, daß Ägypter auf der Straße mit Steinen beworfen und ihre Tempel mit Schweinekadavern besudelt wurden, und die Leute zeigen sich draußen nicht gerne in Gesellschaft eines Ägypters. Du, Sinuhe, bist unser Freund, und wir schätzen dich wegen deiner hervorragenden Heilkunst, deren wir uns immer noch entsinnen. Deshalb erzählen wir dir das alles, damit du auf der Hut sein und danach handeln kannst.«
Ihre Rede versetzte mich in maßloses Staunen; denn vor meiner Abreise hatte man in Simyra um die Freundschaft der Ägypter gebuhlt und sie zu sich nach Hause eingeladen, und wenn man in Theben syrische Sitten nachahmte, so nahm man in Simyra die ägyptischen zum Vorbild. Aber Kaptah bestätigte ihre Worte, indem er aufgebracht in die Herberge kam und sagte: »Ein böser Geist ist zweifellos den Menschen von Simyra durch den Hintern in den Leib gefahren! Sie benehmen sich wie tolle Hunde und tun, als könnten sie nicht mehr ägyptisch sprechen. Sie warfen mich aus der
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