Sinuhe der Ägypter
wenn sein Bildnis gestürzt und sein Tempel geschlossen würde.
Nach einer langen Nacht stieg schließlich die Sonnenscheibe Atons hinter den drei östlichen Bergen empor, und die Gluthitze des Sommertages vertrieb die nächtliche Kühle. Da wurde an allen Straßenecken und auf allen Plätzen in die Hörner gestoßen. Herolde verlasen eine Botschaft des Pharao und verkündeten, daß Ammon ein falscher Gott sei, den der Pharao absetze und in Ewigkeit verdamme. Sein verfluchter Name sei aus allen Inschriften, von allen Denkmälern, ja sogar von den Gräbern zu entfernen. Alle Ammontempel, im Oberen und im Unteren Lande, aller Grund und Boden Ammons, seine Viehherden, Sklaven, Bauten, sein Gold, Silber und Kupfer fielen dem Pharao und dem neuen Gott zu, und der Herrscher gelobte, die Tempel in öffentliche Anlagen, seine Parks in Volksgärten und seine heiligen Seen in öffentliche Seen zu verwandeln, wo die Armen an heißen Tagen baden und sich so viel Wasser, wie sie brauchten, holen dürften. Den ganzen Grundbesitz Ammons versprach er unter diejenigen zu verteilen, die keine Scholle besaßen, damit sie den Boden in Atons Namen bebauen sollten.
Anfangs hörte das Volk nach guter Sitte die Botschaft des Pharao ruhig an, aber schließlich erscholl von überall, von den Straßenecken, den Plätzen und den Tempelhöfen der tosende Ruf: »Ammon, Ammon!« Der Ruf klang so gewaltig, daß es schien, als hätten selbst die Steine und Hauswände der Straßen mitgerufen. Da begannen die Negersoldaten stutzig zu werden. Ihre mit roten und weißen Streifen bemalten Gesichter färbten sich grau, und die Augen rollten weiß in den grauen Gesichern. Sie blickten um sich und bemerkten, daß ihre große Zahl gering war in dieser mächtigen Stadt, die sie zum erstenmal in ihrem Leben sahen. Bei dem Geschrei des Volkes waren es übrigens nur wenige, die noch vernahmen, daß der Pharao, um den verfluchten Namen Ammons aus dem seinigen zu tilgen, an diesem Tag den neuen Namen Echnaton, das heißt der »Günstling Atons«, angenommen hatte.
Bei diesem Gebrüll erwachte auch Haremhab in dem Geheimzimmer der Schenke »Zum Krokodilschwanz«, reckte die Glieder und sprach lächelnd mit geschlossenen Augen: »Bist du es, Baket, Ammons Geliebte, meine Prinzessin? Hast du mich gerufen?« Doch als ich ihn in die Seite stieß, schlug er die Augen auf, und das Lächeln glitt wie ein altes Tuch von seinem Gesicht. Er befühlte seine Stirn und sagte: »Bei Seth und allen Teufeln, dein Trank, Sinuhe, war voller Kraft, und ich habe gewiß geträumt.« Ich sagte: »Das Volk ruft Ammon.« Da erinnerte er sich an alles, und wir eilten in die Schenkstube, wo wir über die auf dem Boden liegenden Wachsoldaten strauchelten. Haremhab riß ein Brot von der Wand und leerte einen Krug Bier, worauf wir hinauseilten und durch die menschenleeren Straßen zum Tempel hasteten. Unterwegs wusch sich Haremhab an einem Springbrunnen der Widderstraße, tauchte den Kopf ins Wasser und prustete gewaltig, denn der »Krokodilschwanz« rumorte immer noch in seinem Hirn.
Der kleine, dicke Hauptmann namens Pepitamon ordnete inzwischen seine Truppen und Streitwagen vor dem Tempel. Nachdem er die Meldung erhalten, daß alles in Ordnung sei und jede Truppe ihre Aufgabe kenne, erhob er sich in seiner goldenen Sänfte und rief mit schriller Stimme: »Ägyptische Soldaten, furchtlose Männer aus Kusch und tapfere Schardanen! Geht hin und stürzt auf Befehl des Pharao das verfluchte Ammonbildnis! Euer Lohn wird groß sein.« Mit diesen Worten glaubte er seine ganze Pflicht erfüllt zu haben, setzte sich zufrieden auf die weichen Kissen der Sänfte und ließ sich von Sklaven fächeln, denn es war bereits sehr heiß geworden.
Vor dem Tempel aber drängten unzählige Scharen weißgekleideter Menschen, Männer und Frauen, Greise und Kinder, und wichen nicht, als die Truppen heranrückten und die Streitwagen vorfuhren. Die Neger trieben die Leute mit ihren spitzen Speeren zur Seite und schlugen mit ihren Keulen auf einige ein; aber das Volk war zahlreich und wich nicht zurück. Plötzlich riefen alle mit lauter Stimme Ammon an und warfen sich vor den Streitwagen zu Boden, so daß die Pferde auf sie traten und die Räder über Menschenleiber hinwegrollten. Da sahen die Hauptleute ein, daß sie nicht ohne Blutvergießen vorwärtsgelangen konnten und zogen ihre Truppen zurück, um neue Befehle einzuholen; denn der Pharao hatte ihnen jedes Blutvergießen untersagt. Aber schon hatte Blut die
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