Sinuhe der Ägypter
in dir, ohne dein Wissen, und in mir, ohne mein Wissen. Falls die Menschen ihn verstünden, könnte er alle Völker von Furcht und Finsternis befreien. Aber wahrscheinlich müssen erst viele, wie du sagst, seinetwegen sterben, denn das Ewige kann man einfachen Menschen nur mit Gewalt beibringen.«
Haremhab betrachtete mich ungeduldig, wie ein Kind, das Torheiten schwatzt. Doch der »Krokodilschwanz« erquickte ihn, er ward wieder guter Laune und meinte: »Jedenfalls sind wir uns einig darin, daß es höchste Zeit ist, Ammon zu stürzen; doch hätte dies im geheimen, überraschend, im Dunkel der Nacht und gleichzeitig im ganzen Lande geschehen sollen. Man hätte die Priester des obersten Grades hinrichten und die übrigen Priester in die Gruben und Bergwerke schicken müssen. In seiner Torheit aber will der Pharao alles am hellen Tag, mit Wissen des Volkes und im Licht seines Gottes vornehmen; denn die Sonnenscheibe ist ja sein Gott, oder nicht? – Jedenfalls ist das Ganze ein Wahnsinn, der viel Blut kosten wird, und ich bin nicht darauf eingegangen, da er mich nicht im voraus in seine Pläne einweihen wollte. Bei Seth und allen Teufeln, wenn ich vorher von der Sache erfahren hätte, ich würde sie gründlich geplant und Ammon gestürzt haben, bevor er überhaupt Zeit gefunden hätte, etwas zu merken. Jetzt aber kennt in Theben jeder Straßenjunge die Geschichte. Die Priester wiegeln das Volk in den Tempelhöfen auf. Die Männer bewaffnen sich im Wald mit Ästen, und die Frauen tragen beim Besuch des Tempels Waschschlegel unter den Kleidern versteckt. Bei meinem Falken, ich könnte weinen, wenn ich an die Torheit des Pharao denke.«
Er legte das Haupt in die auf meine Knie gestützten Hände und weinte über Thebens bevorstehende Prüfungen. Merit brachte ihm den dritten »Krokodilschwanz« und betrachtete dabei seinen starken Rücken und seine schwellenden Muskeln so bewundernd, daß ich sie gereizt bat, sich zu entfernen und uns allein zu lassen. Ich wollte Haremhab über die Angaben, die ich in seinem Auftrag in Babylonien, im Lande der Hetiter und auf der Insel Kreta gesammelt, Bericht erstatten. Ich merkte aber, daß der »Krokodilschwanz« bereits sein Haupt umnebelt hatte. Haremhab war in tiefen Schlaf versunken. So ruhte er an jenem Abend in meinem Schoß, und ich wachte über seinen Schlaf und hörte die ganze Nacht hindurch den Lärm der Wachsoldaten aus der Weinstube; denn der Wirt und Kaptah betrachteten es als ihre Pflicht, sie zu unterhalten, damit sie das Haus bei Ausbruch von Unruhen um so eifriger beschützen sollten. Deshalb hörte der Lärm die ganze Nacht nicht auf. Sie holten blinde Sänger und tanzende Mädchen in die Schenke, was den Soldaten Spaß zu machen schien. Ich aber empfand kein Vergnügen, weil ich daran dachte, daß in jedem Haus Thebens Messer und Sicheln gewetzt, Holzstangen gespitzt und Küchenschlegel mit Kupfer verstärkt wurden. Ich glaube, in Theben schliefen nicht viele in jener Nacht, wahrscheinlich nicht einmal der Pharao. Nur Haremhab schlummerte tief und fest, denn er war ein geborener Krieger.
2
Die ganze Nacht wachten die Menschenhaufen in den Höfen Ammons und vor dem Tempel. Die Armen ruhten auf dem kühlen Rasen der Anlagen, und die Priester wurden nicht müde, auf allen Altären Ammons zu opfern und das Opferfleisch, das Opferbrot und den Opferwein unter die Menge zu verteilen. Sie riefen Ammon mit lauter Stimme an und versprachen jedem, der an Ammon glaube und sein Leben für den Gott opfere, ewiges Leben. Die Priester hätten das Blutvergießen verhindern können; aber es war nicht nach ihrem Willen. Sie hätten nur nachgeben und sich unterwerfen müssen, und der Pharao hätte sie in Frieden ziehen lassen; denn sein Gott verabscheute Verfolgung und Haß. Aber Macht und Reichtum waren den Ammonpriestern so zu Kopf gestiegen, daß sie nicht einmal der Tod der Gläubigen abzuschrecken vermochte. Sie wußten nur zu gut, daß weder das Volk noch die wenigen Wächter Ammons einer bewaffneten, kampfgewohnten Armee Widerstand leisten konnten, sondern daß die Soldaten das Volk hinwegfegen würden, wie der steigende Strom trockenes Stroh fortschwemmt. Aber sie wollten es zum Blutvergießen zwischen Ammon und Aton kommen lassen und den Pharao zu einem Mörder und Verbrecher machen, der reines ägyptisches Blut durch schmutzige Neger vergießen ließ. Sie gierten nach Opfern für Ammon, auf daß Ammon in Ewigkeit von den Dämpfen des Opferblutes leben sollte, selbst
Weitere Kostenlose Bücher