Sinuhe der Ägypter
Geheimzimmer gab, wo die Händler von Diebesgut und die Grabplünderer ihre Geschäfte abzuschließen pflegten und zuweilen vornehme Damen mit kräftigen Trägern aus dem Hafen zusammenkamen. Ich führte Haremhab in ein solches Gemach, und Merit brachte ihm auf der flachen Hand einen »Krokodilschwanz« in einer Muschelschale, die er auf einen Zug leerte. Er hüstelte und sagte: »Oh!« Alsdann bat er um eine zweite Schale, und während Merit sie holen ging, meinte er, sie sei ein schönes Weib, und fragte, in welchem Verhältnis ich zu ihr stehe. Ich versicherte, daß ich nichts mit ihr habe, aber ich war dennoch froh, daß Merit sich das neue Kleid noch nicht angeschafft hatte, sondern den Bauch bedeckt trug. Haremhab berührte sie jedoch nicht, sondern dankte ihr achtungsvoll, nahm die Schale auf die flache Hand und kostete den Inhalt behutsam mit einem tiefen Seufzer. Hierauf sprach er:
»Sinuhe, morgen wird das Blut in den Straßen Thebens strömen, aber ich vermag nichts dagegen zu tun, weil der Pharao mein Freund ist, und ich liebe ihn, obwohl er verrückt ist, denn ich habe ihn einst mit dem Achseltuch zugedeckt, und mein Falke hat unser Schicksal vereint. Vielleicht liebe ich ihn sogar gerade seines Wahnsinns wegen, aber in diese Geschichte mische ich mich nicht ein, denn ich muß an meine Zukunft denken und will daher nicht, daß das Volk mich haßt. O Sinuhe, mein Freund, viel Wasser floß mit dem Nil durch Ägypten, und manche Überschwemmung hat stattgefunden seit dem Tag, da wir einander zum letztenmal in dem stinkenden Syrien begegneten. Ich komme soeben aus dem Lande Kusch, wo ich auf Befehl des Pharao alle Garnisonen aufgelöst habe, um die Negertruppen nach Theben überzuführen, weshalb das Land im Süden ohne Schutz ist. Wenn es so weitergeht, ist es bloß eine Zeitfrage, wann der Aufruhr in Syrien ausbricht. Vielleicht wird ihn das wieder zur Vernunft bringen. Inzwischen aber verarmt das Land. Die Bergwerke sind seit seiner Krönung mit wenigen Arbeitskräften betrieben worden und haben keinen Ertrag abgeworfen, da man die Faulpelze nicht mehr mit dem Stock züchtigen, sondern bloß durch Einschränkung der Rationen bestrafen darf. Wahrlich, mein Herz bangt um ihn, um Ägypten und um seinen Gott, wenn ich auch nichts von Göttern verstehe noch verstehen will, weil ich ein Krieger bin. Nur so viel kann ich sagen: viele, sehr, sehr viele Menschen werden seines Gottes wegen sterben, und das ist Wahnsinn, denn die Götter sind doch wohl dazu da, das Volk zu beruhigen und nicht um Streitigkeiten zu säen.«
Weiter sagte er: »Morgen wird Ammon niedergeworfen werden, und ich werde ihn keineswegs vermissen, denn Ammon ist zu mächtig geworden, um neben dem Pharao in Ägypten Platz zu haben. Es ist daher staatsklug gehandelt von ihm, Ammon zu stürzen, denn er wird dadurch des Gottes gewaltige Reichtümer erben, die ihn noch retten können. Auch kann er, wenn er weise handelt, alle anderen Götter auf seine Seite ziehen, denn die Priester der übrigen Gottheiten haben neben Ammon im Schatten stehen müssen und ihn daher höchlich beneidet. Er könnte sie somit beherrschen, indem er Ägypten unter die vielen kleinen Götter verteilte. Seinen Aton aber liebt kein einziger Priester, und die Priester, besonders die Ammonpriester, herrschen über die Herzen des Volkes. Deshalb muß alles schiefgehen.«
»Aber«, wandte ich ein, »Ammon ist ein hassenswerter Gott, und seine Priester haben das Volk lange genug im dunkeln gehalten und jeden lebendigen Gedanken erstickt, bis niemand mehr ein Wort ohne Ammons Erlaubnis zu äußern wagte. Aton dagegen verspricht Licht und ein Leben frei von Furcht, und das ist eine große Sache, eine unglaublich große Sache, Freund Haremhab.«
»Ich weiß nicht, was du unter Furcht verstehst«, sagte er nachdenklich. »Das Volk muß man durch Furcht im Zügel halten. Wenn die Götter dies besorgen, dann bedarf die Regierung keiner Waffen zu ihrer Stütze. In dieser Hinsicht hat Ammon seine Sache gut gemacht, und hätte er sich nicht damit begnügt, ein Diener des Pharao zu sein, so würde er seine Stellung voll und ganz verdienen, denn ohne Furcht ist noch kein Volk regiert worden und wird auch in Zukunft kein Volk regiert werden können. Deshalb ist dieser Aton in seiner Milde und mit seinem Liebeskreuz ein sehr gefährlicher Gott.«
»Er ist ein größerer Gott, als du glaubst«, sagte ich still und verstand selbst nicht, warum ich so zu ihm sprach. »Vielleicht ist er auch
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