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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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oder um den Hals, und niemand konnte es verhindern, weil das Horn zu allen Zeiten ein erlaubter Zierat an Kleidern oder Schmuck gewesen war. Warum sie aber das Horn als Zeichen hatten, weiß ich nicht. Vielleicht war es das Widderhorn Ammons; aber auch einer seiner zahlreichen göttlichen Namen wurde wie das Wort Horn geschrieben, und die Priester hatten dieses Wort aus der Vergessenheit hervorgeholt und es dem Volk als Zeichen gegeben. Jedenfalls warfen die Träger des Hornes die Körbe der Fischhändler um, zerstörten die Fensterläden der Häuser und fügten denjenigen, die ihnen begegneten, blutige Wunden zu, indem sie riefen: »Wir stoßen Aton mit dem Horn, wir schlitzen ihn mit dem Horn auf!« Die Anbeter Atons aber begannen unter ihren Kleidern Messer zu tragen, die wie das Kreuz des Lebens geformt und geschmiedet waren. Mit diesen Messern verteidigten sie sich und riefen: »Wahrlich, unser Kreuz ist schärfer als das Horn, und mit dem Kreuz des Lebens impfen wir euch das ewige Leben ein.« In der Tat schickten sie mit diesen Messern viele Leute in das Haus des Todes, um sie für das ewige Leben herrichten zu lassen. Und die Wächter verfolgten sie keineswegs; ja, sie beschützten sie sogar, obwohl sie oft, wenn sie auf einsame Hornträger stießen, über sie herfielen und sie umbrachten, ausplünderten und ihre Leichen nackt auf der Straße liegen ließen.
    Zu meinem Erstaunen war nämlich die Macht Atons im vergangenen Jahr in Theben bedeutend gestiegen, und ich konnte auch zuerst nicht begreifen, womit dies zusammenhing. Viele Siedler waren nach Theben zurückgekehrt, und nachdem sie alles verloren hatten und ärmer als je zuvor waren, brachten sie in ihrer Erbitterung Aton mit und klagten die Priester an, die ihr Getreide vergiftet, und die Vornehmen, die ihre Bewässerungsgräben verstopft und durch ihr Vieh ihre Äcker hatten zertrampeln lassen. Viele, welche die neue Schrift erlernt und die Schulen Atons besucht hatten, ereiferten sich auch für Aton, wie die Jugend sich eben stets gegen das Alter erhitzt. Ebenso taten sich die Träger und Sklaven des Hafens zusammen und sprachen zueinander: »Unser Maß ist auf die Hälfte des früheren gesunken, und wir haben nichts mehr zu verlieren. Vor Aton gibt es keine Herren und Sklaven, keine Gebieter und Diener, Ammon aber müssen wir für alles bezahlen.«
    Am eifrigsten für Aton aber gebärdeten sich Diebe, Grabplünderer und Betrüger, die sich als Angeber bereichert hatten und jetzt die Rache fürchteten. Ebenso hielten alle diejenigen an Aton fest, die ihm auf die eine oder andere Art ihr Brot zu verdanken hatten und sich die Gunst des Pharao bewahren wollten. So war die Bevölkerung Thebens zersplittert, bis die friedliebenden und ehrlichen Menschen alles satt bekamen, an keine Götter mehr glaubten und bitterlich klagten: »Ob Ammon oder Aton, das ist uns ganz gleichgültig. Wir wollen nur in Frieden leben und unsere Arbeit tun, sofern wir unser Maß voll erhalten! Wir werden derart hin und her gerissen, daß wir nicht mehr wissen, ob wir auf den Füßen oder auf dem Kopfe stehen.« Am schlimmsten bestellt war es nämlich zu jener Zeit um den, der die Augen offenhalten und einem jeden seinen Glauben lassen wollte. Ihn überfielen alle mit Schimpfworten und bezichtigten ihn, schlapp und gleichgültig, dumm und verstockt, starrsinnig und abtrünnig zu sein, bis er sich gequält die Kleider zerraufte, ein Auge zudrückte und das Kreuz oder das Horn nahm, je nachdem er von dem einen oder anderen weniger Ärgernis erwartete.
    So hatten manche Häuser ihr Zeichen; ganze Viertel stellten ihr Zeichen zur Schau; Weinstuben und Bierschenken und Freudenhäuser trugen ihr Zeichen, und so tranken die Hörner Wein in ihren eigenen Kneipen und die Kreuze Bier in ihren eigenen Schenken, während die Freudenmädchen, die ihr Gewerbe bei den Mauern trieben, sich je nach ihren Kunden Kreuze oder Hörner um den Hals hängten. Allabendlich aber unternahmen die Hörner und Kreuze, von Wein und Bier berauscht, Streifzüge durch die Straßen, zertrümmerten Lampen, löschten Fackeln aus, zerschnitten die Fensterläden der Häuser und schlugen sich gegenseitig blutig. Ich hätte wahrlich nicht mehr sagen können, wer es ärger trieb, die Kreuze oder die Hörner; sie entsetzten mich beide.
    Auch der »Krokodilschwanz« war gezwungen worden, sein Zeichen zu wählen, obwohl Kaptah keine Lust gehabt hatte, sondern es mit einem jeden halten wollte, dem er Silber abnehmen konnte.

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