Sinuhe der Ägypter
Es blieb ihm jedoch keine Wahl mehr; denn die Wände der Schenke wurden allnächtlich mit dem Kreuz des Lebens und rundherum mit unanständigen Bildern besudelt. Das war ganz natürlich; denn die Getreidehändler haßten ihn grimmig, weil er sie dadurch arm gemacht, daß er Getreide an die Siedler verteilt hatte, und es half ihm nichts, daß er in den Steuerlisten die Schenke auf Merits Namen hatte eintragen lassen. Auch wurde behauptet, in seiner Weinstube seien Ammonpriester mißhandelt worden. Seine festen Kunden gehörten alle zu den zweifelhaften Reichen des Hafens, die keine Mittel scheuten, wenn es galt, Reichtümer zu sammeln, und die Anführer der Grabplünderer hatten gerne »Krokodilschwänze« gezecht und in den Hintergelassen seiner Schenke die Grabbeute an die Hehler verkauft. Alle diese Leute hatten sich Aton angeschlossen, weil er sie bereicherte und sie im Namen Atons ihre Nebenbuhler ruinieren und in die Gruben verschicken lassen konnten, indem sie vor den Richtern falsches Zeugnis ablegten. Auch konnten die Grabplünderer ihre Untaten damit rechtfertigen, daß sie erklärten, sie seien aus Glaubenseifer in die Gräber eingedrungen, um den Namen des verfluchten Gottes Ammon von den Wänden zu tilgen.
Keiner erkühnte sich jedoch, mich zu verfolgen, weil ich königlicher Arzt war und alle Menschen im Armenviertel beim Hafen mich und meine Taten kannten. Deshalb wurden keine Kreuze oder unanständige Bilder an meine Hauswände gezeichnet und keine Kadaver in meinen Hof geworfen, und sogar die betrunkenen Unruhestifter, die abends in den Straßen Ammons Namen schrien, um die Wächter zu ärgern, mieden mein Haus. So tief saß dem Volke die Ehrfurcht vor dem, der das Zeichen des Pharao trug, im Blut, obgleich die Priester alles taten, um die Leute davon zu überzeugen, daß Pharao Echnaton ein falscher Prophet sei.
Aber an einem heißen Tag kehrte der kleine Thoth verprügelt und ausgepeitscht von seinem Spielplatz nach Hause; das Blut rann ihm aus dem Naschen, und ein Zahn war ihm ausgeschlagen worden. Dabei konnte er wirklich keinen Zahn entbehren, denn sein Mund sah ohnehin wegen des Zahnwechsels lächerlich genug aus. Er kam schluchzend heim, obwohl er sich bemühte, tapfer zu sein, und Muti erschrak sehr und begann vor Zorn zu weinen, während sie ihm das Gesicht wusch. Als sie damit fertig war, vermochte sie sich nicht länger zurückzuhalten, sondern packte mit ihrer knochigen Hand einen Wäscheschlegel und rief: »Ob Ammon oder Aton! Das kann mir gleichgültig sein. Aber das sollen mir die Schlingel des Schilfflechters wahrlich büßen!« Ehe ich sie zu hindern vermochte, war sie verschwunden, und kurz darauf ertönten von der Straße das Gewimmer und die Hilferufe von Knaben und die Flüche eines Erwachsenen. Erschrocken schauten Thoth und ich durch das Tor nach Muti aus und sahen sie im Namen Atons alle fünf Jungen des Schilfflechters sowie seine Frau und ihn selbst verprügeln, wobei er vergeblich seinen Kopf zu schützen suchte und das Blut ihm aus der Nase strömte.
Hierauf kehrte Muti, immer noch vor Wut keuchend, zurück, und als ich sie zu tadeln und ihr zu erklären versuchte, daß Haß nur Haß gebiert und Rache nur Rache sät, hätte sie beinahe auch noch mich mit dem Wäscheschlegel verprügelt. Im Lauf des Tages begann das Gewissen sie jedoch zu quälen: sie packte Honigkuchen und einen Krug Bier in einen Korb, brachte dem Schilfflechter auch noch ein neues Tuch und schloß mit ihm, seiner Frau und seinen Söhnen Frieden, indem sie sagte: »Halte deine Jungen in Zucht, wie ich es mit dem meinigen, das heißt mit demjenigen meines Herrn tue! Es schickt sich nicht für gute Nachbarn, über Hörner und Kreuze zu streiten!«
Nach diesem Ereignis begann der Schilfflechter, Muti sehr zu verehren, und benützte das Geschenktuch an heiligen Tagen; seine Jungen wurden Thoths Freunde, mausten Honigkuchen aus unserer Küche und prügelten sich ebensoviel mit Hornjungen wie mit Kreuzknaben herum, die sich in unsere Straße verirrten, um Unfug zu treiben. Thoth nahm auf ihrer Seite an den Schlägereien teil, so daß schließlich nicht einmal Seth imstande gewesen wäre, zu entscheiden, ob der Knabe ein Horn oder ein Kreuz war. Mein Herz aber zitterte jedesmal, wenn der kleine Thoth auf die Straße spielen ging. Trotzdem wollte ich ihn nicht daran hindern; denn er mußte lernen, sich selbst zu verteidigen und sein Maß voll zu bekommen. Aber jeden Tag sagte ich zu ihm: »Das Wort ist
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