Sinuhe der Ägypter
vieles gewinnen; und der Sieg und die Größe Syriens schwebten mir schon in Reichweite vor. Mein Leben lang bin ich in der Liebe wie im Haß stark gewesen, und ich kann mir kein anderes Dasein vorstellen. Auch würde ich meinen Lebenslauf nicht ändern wollen und bereue keine einzige meiner Taten, obwohl sie mich heute gefesselt halten und in einen schimpflichen Tod führen, wobei mein Leib den Schakalen zum Fraß dienen wird. Aber ich bin stets neugierig gewesen, und in mir fließt, wie in allen Syriern, Kaufmannsblut. Morgen soll ich sterben: der Tod weckt meine große Neugierde! Daher möchte ich gerne wissen, ob es eine Möglichkeit gibt, ihn zu bestechen und die Götter zu betrügen; denn der Gedanke an das Jenseits und die ewige Wanderung als ein Schatten in der Finsternis bedrückt mich. Du, Sinuhe, hast in deinem Herzen die Weisheit aller Länder gesammelt. Sag mir, wie ich den Tod bestechen kann!«
Ich aber schüttelte das Haupt und sagte: »Nein, Aziru, alles andere kann der Mensch wohl bestechen und betrügen, Liebe und Macht, Güte und Bosheit; sein Gehirn und sein Herz kann der Mensch bestechen: Geburt und Tod aber bleiben unbestechlich. Doch ich sage dir in dieser Nacht beim flackernden Lampenschein: der Tod ist nichts Furchtbares, Aziru, der Tod ist gütig. In Anbetracht all des Bösen, das in der Welt geschieht, ist der Tod der beste Freund des Menschen. Als Arzt glaube ich auch nicht mehr recht an das Totenreich, noch als Ägypter an das Land des Westens und die Erhaltung des Leibes. Der Tod dünkt mich wie ein langer Schlaf und wie eine kühle Nacht nach einem heißen Tag. Wahrlich, Aziru, das Leben ist heißer Sand und der Tod kühles Wasser. Im Tod schließen sich deine Augen, und du siehst nicht mehr; im Tod verstummt dein Herz und klagt nicht mehr; im Tod erschlaffen deine Hände und verlangen nicht mehr nach Taten; im Tod ermüden deine Füße und sehnen sich nicht mehr nach dem Staub endloser Wege. Das ist der Tod, mein Freund Aziru! Doch um unserer Freundschaft willen werde ich Baal für dich und deine Familie gern ein großes Trankopfer und Fleischopfer darbringen. Deiner königlichen Würde wegen werde ich es für dich und deine Familie tun, wenn es dir Trost bereiten kann, obwohl ich selbst nicht viel von Opfern halte. Aber Vorsicht ist eine Tugend, und deshalb will ich für dich opfern, damit du im Totenreich, sofern es ein solches gibt, weder Hunger noch Durst leiden mußt.«
Aziru ereiferte sich bei meinen Worten sehr und meinte: »Wenn du das Opfer für mich darbringst, so nimm von jenen Schafen, welche die fettesten sind und deren Fleisch mir auf der Zunge schmilzt! Und vergiß nicht, Schafsnieren zu opfern, die für mich Leckerbissen sind! Wenn möglich, opfere mit Myrrhe gewürzten Wein aus Sidon; denn mein Blut hat stets fette Nahrung und schwere Weine geliebt. Auch möchte ich, daß du ein starkes, bequemes Bett opferst, das schwere Belastungen aushält; denn es verträgt sich nicht mit meiner königlichen Würde, wie ein Hirt im Gras zu liegen, obwohl dort der Boden nicht knarrt, wie es selbst die stärkste Lagerstatt unter Keftius Gewicht tut.«
Er zählte noch eine Menge Dinge auf, die ich für ihn opfern sollte, und wurde wie ein Kind eifrig und erwartungsvoll beim Gedanken an all die guten Dinge, die er ins Totenreich mitbekäme. Schließlich aber wurde er wieder wehmütig, seufzte tief, stützte das mißhandelte Haupt in die Hände und sprach:
»Wenn du das alles wirklich für mich tun willst, Sinuhe, bist du wahrhaftig mein Freund! Ich verstehe eigentlich nicht, warum du es tust, da ich doch dir wie allen Ägyptern viel Böses zugefügt habe. Auch hast du schön über den Tod gesprochen, und vielleicht verhält es sich, wie du sagst, so, daß der Tod nur ein langer Schlaf und ein kühles Wasser ist. Dennoch tut mir das Herz weh, wenn ich an den Blütenzweig eines Apfelbaumes denke, das Blöken der Schafe in den Ohren vernehme und die Lämmer an den Berghängen hüpfen sehe. Besonders weh aber tut mir der Gedanke an den Frühling in unserem Land und an die blühenden Lilien und ihren Duft von Harz und Balsam; denn die Lilie ist eine königliche Blume, die mir gut steht. Wenn ich an all das denke, verspüre ich Herzweh, weil ich das Land der Amoriter weder im Frühling noch im Herbst, weder bei Sommerhitze noch bei Winterkälte wiedersehen werde. Trotzdem dünkt mich die Qual in der Brust süß, wenn ich über mein Land nachsinne.«
So unterhielten wir uns die ganze
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