Sinuhe der Ägypter
lange Nacht im Gefängniszelt Azirus und erinnerten uns unserer Begegnungen, da ich in Simyra wohnte und wir beide noch jung und stark waren. Aziru erzählte mir auch allerlei aus seiner Kindheit, was hier zu schildern aber zu weit führen würde. Schließlich haben alle Menschen die gleiche Kindheit, und Jugenderinnerungen sind daher bloß für die Betroffenen selber von Wert. Im Morgengrauen brachten uns meine Sklaven eine Mahlzeit, die sie bereitet hatten, und die Wächter hinderten sie nicht, weil auch sie daran teilnehmen durften; sie bestand aus heißem Schaffleisch und in Fett gekochten Graupen, und dazu gossen uns die Sklaven starken, mit Myrrhe gewürzten Wein aus Sidon in die Becher. Auch ließ ich meine Sklaven Aziru von allem Kot säubern, mit dem ihn das Volk beworfen, sein Haar kämmen und aufstecken und den Bart mit einem Goldnetz umhüllen. Seine zerrissene Kleidung und die Fesseln bedeckte ich mit einem königlichen Mantel; denn die Hetiter hatten ihn in Kupferbande geschlagen, die nicht zu lösen waren und mir nicht erlaubten, ihm neue Kleider anzuziehen. Den gleichen Gefallen erwiesen meine Sklaven auch Keftiu und ihren beiden Söhnen, denen Haremhab jedoch nicht gestattete, vor der Hinrichtung mit Aziru zusammenzutreffen.
Als der Augenblick gekommen war und Haremhab, auf die betrunkenen Prinzen der Hetiter gestützt, laut lachend aus seinem Zelt trat, ging ich auf ihn zu und sagte: »Wahrlich, Haremhab, ich habe dir viele Dienste geleistet und vielleicht sogar das Leben gerettet, als ich dir einst bei Tyrus einen vergifteten Pfeil aus dem Schenkel zog und die Wunde heilte. Erweise du mir einen Gegendienst, indem du Aziru einen Tod ohne Schande bereitest; denn er ist doch König von Syrien gewesen und hat tapfer gekämpft! Deine eigene Ehre wird nur noch heller glänzen, wenn du ihn unbeschimpft sterben läßt! Übrigens haben ihn deine Freunde, die Hetiter, schon genug gequält, als sie ihm die Glieder zerbrachen, um ihm ein Wort über das Versteck seiner Schätze zu entlocken.«
Haremhabs Gesicht verfinsterte sich bei meinen Worten. Er hatte sich bereits verschiedene schlaue Mittel ausgedacht, um den Todeskampf Azirus zu verlängern; alles war vorbereitet, und die ganze Armee hatte sich schon im Morgengrauen am Fuß des Hügels versammelt, auf dem die Hinrichtung stattfinden sollte. Man stritt sich um die besten Zuschauerplätze und versprach sich einen vergnügten Tag. Haremhab hatte das Schauspiel jedoch nicht deshalb veranstalten wollen, weil ihm die Leiden oder ein langer To deskampf Azirus Freude bereitet hätten, sondern nur, um seine Soldaten zu ergötzen und ganz Syrien einen solchen Schrecken einzujagen, daß niemand nach dem jammervollen Tod Azirus von einem Aufstand auch nur zu träumen wagen würde. Das muß ich zu Haremhabs Entschuldigung erwähnen. Er war nicht so grausam, wie man behauptete; aber er war ein Krieger und der Tod in seiner Hand nur eine Waffe. Doch ließ er gerne zu, daß seine Strenge im Gerede übertrieben wurde, um seinen Feinden Schrecken einzujagen und den Leuten Achtung einzuflößen. Denn er glaubte, das Volk hege mehr Ehrfurcht vor einem grausamen als vor einem gütigen Herrscher, und es sehe die Milde als eine Schwäche an.
Deshalb verfinsterte sich sein Gesicht bei meinen Worten, sein Arm sank vom Hals des Prinzen Schubattu herab, er stand wankend vor mir und begann sich mit der goldenen Peitsche die Schenkel zu klopfen. Dann wandte er sich an mich und sprach: »Du, Sinuhe, bist mir ein ständiger Dorn in der Lende, und ich beginne deiner höchst überdrüssig zu werden! Denn im Gegensatz zu allen vernünftigen Menschen bist du bitter und schmähst mit giftigen Worten einen jeden, der erfolgreich ist und zu Reichtum und Ehren kommt; sobald aber ein Mensch fällt und besiegt wird, bist du der erste, der ihn bemitleidet und tröstet. Du weißt ganz gut, daß ich unter erheblichen Schwierigkeiten und großem Kostenaufwand aus weitem Umkreis die geschicktesten Henker für Aziru habe kommen lassen; das bloße Erstellen der verschiedenen Folterwerkzeuge und Röstvorrichtungen zur Unterhaltung der Armee hat einen Haufen Silber gekostet. Ich kann unmöglich meine Sumpfratten im letzten Augenblick ihres Vergnügens berauben; denn sie haben Azirus wegen allerlei Widerwärtigkeiten ausgestanden und aus vielen Wunden geblutet.«
Der hetitische Prinz Schubattu trommelte ihm mit der Hand auf den Rücken, lachte und rief: »Recht hast du, Haremhab! Du wirst uns doch
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