Sinuhe der Ägypter
wurden, wobei ihn die Soldaten verhöhnten und mit Schmutz und Pferdemist bewarfen. Denn er war ein sehr stolzer Mann, dem es sicherlich peinlich gewesen wäre, wenn ich ihn in seiner Erniedrigung gesehen, nachdem ich ihn in den besten Tagen seiner Kraft und Macht gekannt hatte. Deshalb hatte ich ihn am Tag gemieden und suchte sein Zelt erst im Dunkel der Nacht auf. Die Wächter hoben ihre Speere und sprachen zueinander: »Wir wollen ihn einlassen! Es ist Sinuhe, der Arzt, der sich gewiß nicht auf unerlaubten Wegen befindet. Wenn wir ihm den Zutritt verweigern, wird er uns vielleicht beschimpfen oder durch Zauberei entmannen; denn er ist ein boshafter Mensch, und seine Zunge sticht ärger als ein Skorpion.«
Im Dunkel des Zeltes fragte ich: »Aziru, König der Amoriter, willst du in der Nacht vor deinem Tod einen Freund empfangen?« Aziru stieß in der Finsternis einen tiefen Seufzer aus, seine Ketten klirrten, und er sprach: »Ich bin kein König und besitze keine Freunde mehr! Bist du es, Sinuhe, dessen Stimme ich im Dunkel zu erkennen glaube?« Ich antwortete: »Ich bin’s, Sinuhe.« Da sagte er: »Bei Marduk und allen unterirdischen Teufeln, wenn du wirklich Sinuhe bist, so sorge für Licht! Ich habe es satt, hier im Dunkeln zu liegen; denn bald werde ich in die ewige Finsternis eingehen. Zwar haben mir die verfluchten Hetiter die Kleider zerrissen und die Glieder auf der Folter zerbrochen, so daß ich keinen schönen Anblick biete, aber als Arzt wirst du an noch schlimmere Dinge gewohnt sein! Ich schäme mich auch nicht; denn angesichts des Todes braucht sich der Mensch seines Elends nicht mehr zu schämen. Sinuhe, hole ein Licht, damit ich dein Gesicht sehe und meine Hand in die deinige lege! Denn meine Leber schmerzt mich, und aus meinen Augen fließt Wasser um meiner Gemahlin und meiner Söhne willen. Wenn du mir außerdem starkes Bier zum Befeuchten meiner Kehle verschaffen kannst, Sinuhe, will ich morgen im Totenreich den Göttern von deinen guten Taten erzählen. Ich selbst kann leider keinen Tropfen Bier mehr bezahlen, weil mich die Hetiter bis auf mein letztes Kupferstück ausgeplündert haben.«
Ich bat die Wächter, eine Talglampe zu bringen und anzuzünden; denn der scharfe Rauch gewöhnlicher Fackeln biß mich in die Augen und ließ meine Nase rinnen. Sie brachten die Lampe und zündeten sie an, und ich nahm ihnen den Krug syrischen Biers ab, aus dem sie durch Rohre gesogen hatten, weil sie glaubten, die Vorgesetzten würden an diesem Abend, da Haremhab ein Gastmahl gab, ein Auge zudrücken. Stöhnend und jammernd richtete sich Aziru vom Boden auf, und ich half ihm das Bierrohr in den Mund stecken und ließ ihn syrisches, von Gerste und Malz getrübtes Bier aus dem Krug saugen. Während er es gierig schlürfte, betrachtete ich ihn im flackernden Lampenschein: sein Haar war zottig und grau, den stattlichen Bart hatten ihm die Hetiter teilweise ausgerupft, so daß große Hautstücke vom Kinn gerissen waren. Seine Finger waren zerquetscht, die Nägel schwarz von Blut und die Rippen gebrochen; darum stöhnte er beim Atmen und spuckte, nachdem er getrunken, Bier und Blut. Als er genug geschluckt und gespien hatte, betrachtete er das Flämmlein der Lampe und sprach:
»Wie mild und klar ist doch nach dem Dunkel das Licht in meinen müden Augen! Aber die Lampe flackert und wird einmal erlöschen, und ebenso flackert und erlischt des Menschen Leben. Doch danke ich dir, Sinuhe, für das Licht und das Bier! Gerne würde ich dir ein Gegengeschenk machen; doch habe ich, wie du weißt, nichts mehr zu verschenken. Meine Freunde, die Hetiter, haben mir in ihrer Habsucht sogar die einst durch dich vergoldeten Zähne ausgebrochen.«
Hinterher ist leicht, klug und weise sein. Deshalb wollte ich ihn nicht daran erinnern, wie ich ihn vor den Hetitem gewarnt hatte, sondern nahm seine zerquetschten Finger in meine Hand und behielt sie darin, und er neigte sein stolzes Haupt auf meine Hände und ließ aus seinen geschwollenen, blaugeschlagenen Augen heiße Tränen darauf fließen. Nachdem er sich ausgeweint hatte, sprach er:
»In den Tagen meiner Freude und Macht schämte ich mich nicht, vor dir zu lachen und zu jubeln, warum sollte ich mich also im Unglück meiner Tränen vor dir schämen? Aber wisse, Sinuhe, daß ich weder mein eigenes Schicksal noch meine verlorenen Reichtümer und Kronen beweine, obwohl ich stets sehr an Macht und irdischen Gütern gehangen, sondern daß ich um meine Gemahlin Keftiu, meinen
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