Sinuhe der Ägypter
sie auf jede Weise zu beschönigen und kleidete sie in die bunte Tracht der Einbildung, bis ich schließlich selbst überzeugt war, dadurch Ägypten zu retten. Jetzt, da ich alt bin, glaube ich es zwar nicht mehr; aber damals, als ich auf dem Schiff stromabwärts fuhr, hatte ich große Eile, und das Fieber der Ungeduld brannte so heftig in mir, daß meine Augenlider schwollen und ich keinen Schlaf finden konnte.
Wieder einmal war ich einsam, einsamer als alle anderen. Denn keinem Menschen konnte ich mein Inneres mehr anvertrauen und niemand um Hilfe bei der Ausführung meiner Tat bitten. Ich hatte ja ein Pharaonengeheimnis zu wahren, das, wenn es an den Tag gekommen wäre, den Tod von Tausenden und aber Tausenden bedeutet hätte. Deshalb mußte ich, um nicht entlarvt zu werden, listiger als eine Schlange vorgehen, und das Bewußtsein, daß ich, falls ich ertappt würde, einem fürchterlichen Tod in den Händen der Hetiter entgegenginge, spornte mich zu äußerster Schlauheit an.
Allerdings war ich versucht, alles wegzuwerfen, zu fliehen und mich irgendwo in der Ferne zu verbergen, wie es der Sinuhe des Märchens tat, als er durch einen Zufall das Geheimnis des Pharao erfahren. Ich hatte große Lust, die Flucht zu ergreifen und das Schicksal über Ägypten hereinbrechen zu lassen. Wäre ich geflohen, so würden die Ereignisse vielleicht anders verlaufen sein und die Welt heute anders aussehen – ob besser oder schlechter, das weiß ich nicht. Seitdem ich alt geworden bin, habe ich jedoch eingesehen, daß schließlich alle Herrscher gleich sind und ebenso alle Völker, und daß es im Grunde kein großer Unterschied ist, wer herrscht und welches Volk das andere unterdrückt: die arme Bevölkerung bleibt am Ende doch immer der leidende Teil. Deshalb wäre es vielleicht auf eins herausgekommen, wenn ich meine Aufgabe im Stich gelassen hätte. Doch würde ich in diesem Fall keine frohe Stunde mehr gehabt haben, womit ich nicht etwa behaupten will, jetzt glücklicher zu sein; denn die Tage des Glückes sind für mich schon mit meiner Jugend entschwunden.
Meiner Schwäche wegen aber floh ich nicht; denn eher, als seinen eigenen Weg zu gehen, läßt sich ein schwacher Mensch vom Willen eines anderen zu fürchterlichen Untaten verleiten. Wahrlich, wenn ein Mensch schwach genug ist, läßt er sich sogar lieber in den Tod führen, als daß er den Strick, an dem er geleitet wird, durchschnitte! Übrigens glaube ich, daß es viele Schwächlinge gibt und ich nicht der einzige bin.
Deshalb mußte Prinz Schubattu sterben. Während ich so auf dem Schiff, im Schatten des vergoldeten Daches und einen Weinkrug neben mir, dasaß, strengte ich all mein Denkvermögen an, um eine Todesart für ihn zu ersinnen, die meine Tat nicht verraten und Ägypten nicht mit Verantwortung belasten würde. Das war eine schwierige Aufgabe; denn der hetitische Prinz reiste sicherlich mit einem seinem Rang entsprechenden Gefolge, und die Hetiter waren mißtrauisch und wachten zweifellos über seine Sicherheit. Selbst wenn ich ihm allein in der Wüste begegnete und es in meiner Hand läge, ihn mit Pfeil oder Speer umzubringen, könnte ich es doch nicht tun, weil diese Waffen Spuren hinterlassen, die das Verbrechen an den Tag bringen würden. Einen Augenblick dachte ich daran, ihn in die Wüste hinauszulocken, um den Basilisk mit den Augen aus grünem Stein zu suchen, ihn in eine Schlucht hinabzustürzen und hernach zu erzählen, er sei ausgeglitten und habe sich das Genick gebrochen. Aber das war ein kindischer Plan; denn ich wußte recht gut, daß ihn sein Gefolge in der Wüste nicht aus den Augen lassen würde, weil die Leute seinem Vater, dem großen Schubbiluliuma, für sein Leben hafteten. Ich würde bestimmt nicht einmal unter Vier Augen mit ihm sprechen können; und um Vergiftungen vorzubeugen, besaßen die Hetiter Vorkoster aller Speisen und Getränke, weshalb ich ihn also nicht auf die übliche Art vergiften könnte…
Da entsann ich mich der Berichte über die geheimen Gifte der Priester und des goldenen Hauses. Ich wußte, daß es Mittel und Wege gab, einer unreifen Baumfrucht Gift einzuimpfen, welches das Ende desjenigen herbeiführte, der sie später in reifem Zustand verzehrte. Ich wußte, daß es Bücherrollen gab, die demjenigen, der sie öffnete, einen langsamen Tod bereiteten, und wußte auch, daß die Priester Blumen auf eine besondere Art behandelten, damit ihr Duft tödlich wirkte. Doch das alles waren Geheimnisse der Priester, ich
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