Sinuhe der Ägypter
Pharao den Todestrank gereicht habe, so geschah es seinetwegen, weil er ein kranker Mensch und ich sein Freund war.«
Aber Haremhab runzelte die Brauen und begann sich mit der Peitsche aufs Schienbein zu schlagen, und Eje meinte: »Sinuhe, du bist ein kluger Mann und wirst daher verstehen, daß wir nicht ein ganzes Reich unter der Bettmatte einer launenhaften Frau verlieren können. Glaube mir, es gibt keinen anderen Ausweg mehr. Der Prinz muß auf der Reise nach Ägypten umkommen, und es geht mich nichts an, ob er einem Unfall oder einer Krankheit erliegt: die Hauptsache ist, daß er stirbt. Deshalb wirst du ihm in der Wüste Sinai entgegenfahren – und dies als Arzt im Auftrag der Prinzessin Baketamon, um ihn zu untersuchen, ob er fähig ist, seine Obliegenheiten als Ehegatte zu erfüllen. Er wird dir das gerne glauben und dir einen freundlichen Empfang bereiten, um dich dann langatmig über die Prinzessin Baketamon auszufragen; denn auch Prinzen sind nur Menschen, und ich glaube, er wird sehr neugierig auf die Hexe sein, an die Ägypten ihn zu fesseln gedenkt. Deine Aufgabe, Sinuhe, wird leicht sein. Auch wirst du die Geschenke nicht verachten, die ihre Erfüllung einbringen wird und die dich zu einem reichen Mann machen werden.«
Haremhab mahnte: »Triff rasch deine Wahl, Sinuhe; denn du wählst zwischen Leben und Tod! Du wirst verstehen, daß wir dich, falls du nein sagst, nach diesen Mitteilungen unmöglich am Leben lassen können, magst du auch tausendmal mein Freund sein. Denn es handelt sich um ein Pharaonengeheimnis, das außer Eje und mir niemand wissen darf. Der Name, den deine Mutter dir verlieh, Sinuhe, war ein schlechtes Vorzeichen; denn du hast bereits allzu viele Pharaonengeheimnisse erfahren! Du brauchst daher bloß ein ablehnendes Wort zu äußern, und ich durchschneide dir den Hals von Ohr zu Ohr, so ungern ich es tue; denn du bist unser bester Diener, und wir können keinen anderen Menschen mit einem solchen Auftrag betrauen. Ein gemeinsames Verbrechen aber verbindet dich mit uns, und auch diesen neuen Frevel wollen wir gerne mit dir teilen, falls du die Rettung Ägyptens vor der Macht der Hetiter und eines verrückten Weibes als einen Frevel betrachtest.«
So war ich in das Netz verstrickt, das mir meine eigene Handlungsweise geknüpft hatte und das so stark war, daß ich keine einzige Masche zu zerreißen vermochte. Meine eigenen Taten bildeten den Strick, der mich fesselte. Ich selbst hatte diesen Strick gedreht, der weit zurück bis in die Todesnacht des großen Pharao, bis zu dem Besuch Ptahors in meinem Vaterhaus, ja bis zu dem Strom reichte, auf dem ich in meiner Geburtsnacht in einem Binsenboot schwamm. In dem Augenblick aber, da ich Pharao Echnaton den Todestrank reichte, hatte ich mein Geschick endgültig mit dem Schicksal Haremhabs und Ejes verbunden, obwohl ich es damals in meiner Trauer und Erbitterung nicht verstand.
»Du weißt ganz gut, daß ich den Tod nicht fürchte, Haremhab!« versuchte ich mir selbst Mut einzureden; denn obwohl ich schon oft und viel vom Tod gesprochen und ihn auch angerufen hatte, war er mir doch ein unheimlicher, kalter Gast in der Finsternis der Nacht, und ich wollte mir nicht die Kehle mit einem stumpfen Messer durchsägen lassen.
Ich schreibe dies alles nur meinetwegen und ohne Selbstbeschönigung. Deshalb muß ich zu meiner Schande gestehen, daß mir in jener Nacht der Gedanke an den Tod ein großes Grauen einjagte, weil er so plötzlich und unerwartet aufgetaucht war, daß ich keine Zeit fand, mich darauf vorzubereiten. Vielleicht würde ich mich weniger vor dem Sterben gefürchtet haben, wenn es nicht so plötzlich hätte geschehen sollen. Nun aber dachte ich an das pfeilschnelle Flitzen der Schwalben über dem Strom, an den Wein des Hafens und an die Gans, die Muti nach Thebener Art briet – und das Leben erschien mir mit einemmal unerwartet süß. Deshalb dachte ich an Ägypten und erinnerte mich daran, daß Echnaton hatte sterben müssen, damit das Land gerettet und Haremhab die Möglichkeit gegeben werde, den Angriff der Hetiter mit Waffengewalt abzuwehren. Schließlich war Echnaton mein Freund gewesen, während mir dieser fremde Prinz sehr fern stand und sicherlich durch seine Untaten im Krieg den Tod schon tausendmal verdient hatte. Warum sollte ich also nicht auch ihn ums Leben bringen, um Ägypten zu retten, nachdem ich ja Echnaton zu demselben Zweck das Gift gereicht hatte? Ich fühlte mich auf einmal sehr schläfrig und sprach
Weitere Kostenlose Bücher