Sinuhe der Ägypter
kannte sie nicht und glaube, daß viele jener Erzählungen rein erfunden waren. Doch selbst, wenn sie wahr gewesen wären und ich die Geheimnisse gekannt hätte: ich würde doch keine Obstbäume in der Wüste mit Gift versehen können! Ebenso war mir klar, daß ein hetitischer Prinz kein Schriftstück selbst öffnet, sondern es seinen Schreibern übergibt; und schließlich pflegten die Hetiter nicht an Blumen zu riechen, sondern deren Stengel mit Peitschen abzuhauen oder sie mit den Füßen zu zertreten.
Je mehr ich mir alles überlegte, desto schwieriger erschien mir meine Aufgabe, und ich wünschte, ich hätte Kaptahs Schlauheit als Beistand. Doch durfte ich ihn nicht in die Sache hineinziehen. Außerdem hielt er sich wegen seiner Guthaben immer noch in Syrien auf und hatte es auch nicht eilig, nach Ägypten zurückzukehren, weil er wegen seiner Zugehörigkeit zum Reiche Atons nach wie vor überzeugt war, das syrische Klima sei ihm zuträglicher als das ägyptische. Deshalb bot ich meine ganze Erfindungsgabe und alle meine ärztlichen Kenntnisse auf: denn ein Arzt ist mit dem Tod vertraut und kann mit seinen Mitteln dem Patienten ebensogut den Tod wie das Leben schenken. Wäre Prinz Schubattu krank gewesen und hätte ich ihn pflegen dürfen, so würde ich ihn in aller Ruhe und nach allen Regeln der Heilkunst zu Tode kuriert haben, und kein Arzt, der sich selbst achtete, hätte irgend etwas gegen meine Behandlung einzuwenden gehabt, weil die Zunft der Ärzte in allen Zeiten ihre Toten gemeinsam zu begraben pflegt. Schubattu aber war nicht krank; und wenn er es wäre, würde er sich von seinen hetitischen Heilkünstlern pflegen lassen und nicht einen Ägypter heranziehen…
Ich habe so ausführlich von meinen Überlegungen berichtet, um zu beweisen, welch schwierige Aufgabe mir Haremhab auferlegt hatte; doch will ich mich nun nicht länger bei meinen Gedanken aufhalten, sondern erzählen, was ich tat. Im Haus des Lebens zu Memphis ergänzte ich meinen Vorrat an Arzneien, und keiner wunderte sich über meine Bestellungen; denn was für einen gewöhnlichen Menschen ein tödliches Gift ist, kann für einen Arzt oft ein Heilmittel sein. Alsdann reiste ich unverzüglich weiter nach Tanis, wo ich eine Sänfte bestieg, um mich unter dem Geleit einiger Streitwagen auf der großen, nach Syrien führenden Heerstraße in die Wüste hinaus zu begeben. Als Arzt und als ein an seine Bequemlichkeit gewöhnter Mann wollte ich nämlich in einer Sänfte reisen, damit keine auffällige Eile den Verdacht meines Gefolges oder der Hetiter wecke.
Haremhab war über Schubattus Reiseweg genau unterrichtet gewesen: drei Tagereisen von Tanis entfernt, bei einer von Mauern umgebenen Quelle stieß ich auf den Prinzen und sein Gefolge. Auch Schubattu reiste in einer Sänfte, um seine Kräfte zu schonen. In seinem Gefolge befanden sich zahlreiche schwerbeladene Esel mit kostbaren Geschenken für die Prinzessin Baketamon, schwere Streitwagen gaben ihm das Geleit, und voraus fuhren leichte Wagen in Späherdiensten; denn König Schubbiluliuma hatte ihm anbefohlen, auf jede Überraschung gefaßt zu sein, da er nur zu gut wußte, daß diese Reise Haremhab mißfallen werde. Deshalb würde Haremhab nichts dadurch gewonnen haben, Räuberbanden auszusenden, um ihn in der Wüste umbringen zu lassen; denn um die Begleitmannschaft zu überwinden, hätte es eines regelrechten Kampfverbandes mit Streitwagen bedurft, und dies wiederum hätte Krieg bedeutet.
Gegen mich und die Offiziere meines anspruchslosen Geleits aber waren die Hetiter äußerst zuvorkommend und liebenswürdig – wie immer, wenn sie hoffen, etwas umsonst zu erhalten, was sie nicht mit Waffengewalt erobern können. Sie empfingen uns in dem Lager, das sie zur Nacht aufgeschlagen hatten, halfen den ägyptischen Soldaten beim Aufrichten der Zelte und gaben uns zahlreiche Wächter zum Schutz gegen die Räuber und Löwen der Wüste, damit wir ungestört schlafen könnten. Als Prinz Schubattu jedoch vernahm, daß ich ein Abgesandter der Prinzessin Baketamon sei, wurde er vor Neugierde ungeduldig und ließ mich holen, um mit mir zu sprechen.
So betrat ich sein Zelt und sah einen jungen, stattlichen Mann vor mir, dessen Augen groß und klar wie Wasser waren, weil er nicht betrunken war wie damals am Morgen vor Haremhabs Zelt bei Megiddo, da Aziru sterben mußte. Freude und Erwartung röteten sein dunkles Gesicht. Seine Nase war groß und wie der Schnabel eines Raubvogels kühn gebogen, und als er
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