Sirenenlied
Zwar tarnte der schwer zugängliche Finebird das Ganze als Job, indem er Josh Einkäufe und andere Kleinigkeiten für sich erledigen ließ, aber sie wussten es beide besser: So unterschiedlich sie sein mochten, so gut verstanden sie sich. Einfach weil sie den anderen mit seinen Eigenarten akzeptierten. Wobei der Maler auf den ersten Blick deutlich mehr Eigenarten an den Tag legte als der junge Schotte.
»Riecht das etwa wie Marys berühmte Biersoße - oder irre ich mich da?« Mit einem Grinsen stellte Josh die Soßenschale auf den Tisch, die Finebird sogleich unter seine
Nase zog. »Tatsache. Das Rezept rückt sie doch ansonsten um kein Geld der Welt raus.«
»Macht sie auch nicht, sonst könnte sie ihren Pub ja gleich schließen.«
Nachdenklich begann Finebird zu essen. »Wenn du klug bist, gehst du lieber nicht damit hausieren, dass du ihr bestes Rezept nachkochen kannst. Köchinnen können bei so etwas sehr empfindlich sein. Wir wollen ja nicht, dass einer der Fischer deine sorgfältig tranchierten Überreste in seinem Netz wiederfindet.«
»Wie ich Mary kenne, würde sie mir für ein nachgemachtes Rezept lediglich die Eier abschneiden und vor meinen Augen in der Pfanne braten«, erwiderte Josh ungerührt. Als Finebird sich vor Lachen verschluckte, klopfte er ihm auf den Rücken und widmete sich dann seinem Kotelett, denn er hatte einen Bärenhunger.
Nach dem Essen und ein paar Verdauungskaffees standen die beiden Männer auf dem Vorplatz des Cottage, wo Finebird ungestört seiner Liebe für Kautabak frönen konnte.
»Wird bald dunkel, die Dämmerung bricht auf dieser elenden Insel immer so verflixt früh an.« Finebird spuckte geschickt in einen leeren Farbeimer. »Ist also an der Zeit für meinen Spaziergang, sonst breche ich mir noch die Knochen, weil ich nichts mehr sehe. Wir treffen uns dann ja, wie gehabt, nächste Woche wieder. Und dann bringst du etwas zum Mittag mit, das meinen altersschwachen Magen nicht an seine Grenzen der Belastbarkeit treibt. Oder du kochst einfach schlechter, dann bin ich nicht so schrecklich verfressen.«
Josh schüttelte nur den Kopf, denn diese Klage hörte er sich jede Woche an. Allerdings nicht ungern.
»Übrigens.« Finebird hielt mitten im Gehen inne.»Wenn
du dich heute Abend im Peebles rumtreibst, sag Mawhiney, dass er mit seinem Lieferwagen bei mir vorbeikommen soll, um ein verkauftes Bild abzuholen. Sag es ihm möglichst früh, sonst vergisst er es mit seinem versoffenen Hirn wieder.«
Obwohl Finebird außer von Josh selten Besuch bekam und seine einzige Verbindung zum Festland in einem Funkgerät bestand, das regelmäßig Staub ansetzte, gelang es ihm offensichtlich ohne Schwierigkeiten, seine Meeresgemälde zu verkaufen.
»Das Bild ist eine wirklich gute Arbeit geworden. Könnte dir gefallen«, sagte Finebird leichthin, bevor er sich verabschiedete und sich auf seine nachmittägliche Runde machte.
Josh sah ihm einige Zeit lang nach und kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. Schließlich ging er zu seiner Maschine, um sie anzuschmeißen. Doch außer viel Gestotter war nichts aus ihr herauszubringen.
»Tank leer«, murmelte Josh grimmig und schnipste gegen die Tankanzeige, die auf halbvoll stand. Eigentlich hätte ihm auffallen müssen, dass sie schon verdächtig lang auf dieser Position verharrte. »Gut, borgen wir uns eben etwas von Finebirds Benzinvorräten.«
Mit einem leichten Widerwillen kehrte Josh in das Cottage zurück und ging mit gesenktem Blick zwischen den Leinwänden zu der Ecke, in der Finebird außer Farben auch Benzin zum Pinselreinigen aufbewahrte. Nachdem Josh das Etikett auf dem Kanister durchgelesen hatte, stellte er erleichtert fest, dass Finebird tatsächlich normales Benzin zum Reinigen benutzte. Viel war es allerdings nicht, vermutlich reichte es gerade aus, um die Triumph bis nach Hause zu bringen.
Auf dem Weg zurück zur Tür blieb Josh unvermittelt stehen, als er ein seltsam reibendes Geräusch hörte. Wovon auch immer es herrührte, es zauberte ihm eine Gänsehaut. Fein und federnd. Dann sah er den Auslöser: Eine Möwe hatte sich bei ihrer Suche nach einem Ruheplatz eines der kleinen Fenster ausgesucht und presste nun ihr Federkleid gegen das Glas. Als Josh sie bemerkte, drehte sie den Kopf, und er hätte schwören können, dass sie ihm mit ihrem glänzend schwarzen Perlauge zublinzelte.
Abrupt wendete Josh sich ab und stieß dabei fast eine der Leinwände um. Im letzten Augenblick bekam er sie am Rahmen zu packen.
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