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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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schnalzte freundlich mit dem zahnlosen Mäulchen. Erst jetzt bemerkte ich die Seltsamkeit der Kammer. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen oder betreten. An der Wand stand eine altmodische weiße Frisierkommode mit hellblauen Knäufen an den Schubladen. Der runde, dreigeteilte Spiegel war mit Staubfladen und Spinnweben verhangen. Zögernd tastete ich mich vor und zog langsam die oberste Schublade auf. Ein Haufen gezackter Fotos quoll heraus. Ich erkannte Opa Adelbert im Matrosenanzug. Jemand hatte ihm mit Buntstiften das Gesicht ausgemalt. Ich habe meinen Großvater nicht wirklich gekannt. Er ist in einem See ertrunken, als ich vier Jahre alt war. Unter den Fotos begraben lag eine schmale, dunkelrote Schachtel mit einer Kirsche vorne drauf. Was darin so kullerte und rappelte, waren – wie ich sofort in Erfahrung brachte – Opas Gallensteine. Früher hatten sie in Omas Schmuckkästchen gelegen, zwischen Amuletten und Bernsteinklumpen, in denen kleine Insekten eingeschlossen waren. Als ich klein war, habe ich die Gallensteine in den Mund genommen, weil ich sie für Himbeerbonbons hielt. Darauf hatte Oma sie umgehend aus dem Schmuckkästchen verbannt. Nie hätte ich damit gerechnet, die Gallensteine wiederzusehen. Ich ließ den schöneren der beiden in meiner Hosentasche verschwinden, als durch die Luke ein goldener Lichtkegel in die Kammer fiel. Geblendet vom grellen Schein sprang Leon mit einem Satz auf die Kommode. Das Licht fiel nun auf ein glänzendes Buch, ganz oben auf dem Stapel, wo eben noch der Kater gesessen hatte. Das Buch war so groß, dick und schwer, dass ich Mühe hatte, es zu bewegen. Der Umschlag, der eine schöne Frau zeigte, war ganz weich und schimmerte golden, wenn man ihn gegen das Licht neigte. Ich las die leeren, weißen Buchstaben:
    O U E L L E
    Das war ein seltsamer Titel für ein Buch. Das Wort, falls es überhaupt ein Wort sein sollte, ergab keinen Sinn. Durch das O schob sich von rechts eine kleine Hand. Als wäre das O ein rundes Fenster und die Hand würde herauswinken. Dieses Buch sah ganz anders aus als alle Bücher, die ich bisher gesehen hatte. Merkwürdigerweise war keine einzige Geschichte drin. Stattdessen Bilder von Männern und Frauen in mannigfaltigen Kostümen, und daneben große, rätselhafte Zahlen. Diese Menschen hatten aber kaum Ähnlichkeit mit meinen Tanten und Onkeln, den Verkäuferinnen und Bergleuten in Polen. Sie waren bunt angezogen und lachten mich an. Und tolle Frisuren hatten sie, wie die Schauspieler im Film. Je weiter ich vorblätterte, desto unglaublicher wurden die Abbildungen. Nach den Frauen und Männern kamen Fotos von Kindern in Strumpfhosen, die alle Farben des Regenbogens hatten. Bisher hatte ich geglaubt, dass Gott für Strumpfhosen keine anderen Farben als Weiß und Beige vorgesehen hatte. Ich begegnete im Buch Mädchen, die wie Prinzessinnen gekleidet waren und glänzende Schühchen mit Riemchen trugen. Bald entdeckte ich zwei Seiten mit nackten Menschen auf Liegen, die aus blauen Leuchtröhren gemacht schienen. Auch sie lächelten breit, anscheinend schämten sie sich kein bisschen. War es möglich, dass diese Bilder aus dem Paradies stammten, von dem in der Bibel die Rede war? Ich glaubte es beinahe, als ich das Buch an einer Stelle aufschlug, wo mir so viel nie zuvor gesehenes Spielzeug ins Auge sprang, dass ich kaum noch atmen konnte. Ein abgetrennter Puppenkopf steckte auf einem Tablett, wo Schminken, Tuschen und Schwämmchen arrangiert waren. Ein Junge saß in einem kleinen Auto, das genauso aussah wie ein richtiges Auto. Ich erschrak über eine Miniaturwaschmaschine aus rosarotem Plastik und ein grinsendes Telefon auf Rädern. Da waren Puppen, die wie echte Säuglinge aussahen, nur dass sie Fönfrisuren wie alte Tanten hatten. Bäuchlings lagen sie inmitten winzigen Zubehörs. Eine Seite weiter waren aus den unförmigen Säuglingen wunderschöne, spindeldürre Plastikfrauen in Tüllkleidern geworden, für die man eigens ein Haus mit passenden Möbeln errichtet hatte. Überwältigt und vor Aufregung schnaufend, klappte ich das Buch zu, das von einer Welt zeugte, in der unvorstellbare Wunder an der Tagesordnung waren. Aber jetzt war keine Zeit, das Geheimnis des Folianten zu lüften. Ich musste Onkel Leon in Sicherheit bringen und vor Oma zu Hause sein. Mit der Katze unter dem Arm kraxelte ich die schiefen Stufen hinauf. Aus dem Türspalt sah ich Oma an der Weggabelung vor unserem Haus stehen. Sie unterhielt sich rege mit einer Nachbarin.

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