Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
ein Plastikfläschchen mit Kirschlimonade. Dominik steckte alles in die Bauchtasche seines Kapuzenpullovers, dann konnte es weitergehen.
Wir bogen von der Landstraße in einen Feldweg, der uns an Pferdekoppeln vorbei ans Flüsschen führte, dorthin, wo ich nach der Schule manchmal spazieren ging, wenn es zu Hause wegen Renovierungsarbeiten zu laut war. Ich wollte Dominik den Ort zeigen, an dem ich träumte, eine Stelle im Wald, die bisher mein Geheimnis war.
Wir erreichten bald die verwilderte Gegend, und Dominik stellte sein Fahrrad an einem baufälligen Häuschen ab. Der schmale Pfad, der vor uns lag, war zugewuchert von Klettgewächsen und Brennnesseln, und wir mussten uns aneinander festhalten, um nicht über die Baumwurzeln zu stolpern. Dann waren wir endlich da. Das Wrack eines VW -Käfers tauchte wie eine schlafende Riesenschildkröte zwischen ein paar Birken auf. Im Zwielicht des späten Nachmittags konnte man noch besser erkennen, wie viele Farben die alte Laube hatte, all die zerkratzten Schichten, gebräunt von Rost und mit Pilzen und grünem Moos bewachsen. Wo früher Reifen gewesen waren, wucherten trockene Grasbüschel heraus. Es roch wie in einem polnischen Wald. Die Schildkröte schlief tief und fest, sie ließ sich weder von den zwitschernden Vögeln noch von Dominiks Begeisterungsrufen stören. Weil jemand die Sitze aus dem Wrack gerissen hatte, kletterten wir auf sein zerbeultes Dach. Der Rost ratschte die Spitzen meines Kleides auf, aber ich freute mich über jedes Reißgeräusch. Es war genauso schön, wie eine Flasche in den Altglascontainer zu werfen. Auch meine weißen Lackschuhe waren mittlerweile dreckig und zerkratzt.
»Schau, wie ich aussehe!«, sagte ich lachend.
»Na und? Ist doch egal«, sagte Dominik. »Du bist eben so ’ne Kampf-Prinzessin wie Leia aus Krieg der Sterne . Hier, ich hab dir was mitgebracht.« Dominik zog umständlich eine in der Mitte gefaltete Karte aus seiner hinteren Hosentasche. Es war eine Autogramm-Karte von Werner Schulze-Erdel. »Hab ich Helga geklaut«, sagte er verlegen. »Ich wusste voll nicht, was ich dir mitbringen soll.«
»Aber du bist den ganzen Weg zu mir gekommen«, sagte ich gerührt. »Das ist doch genug!«
»Findest du? Meine Oma hat gesagt, wenn man ein Mädchen besucht, bringt man ihr auch was mit.«
Ich betrachtete die Autogrammkarte in meiner Hand mit Wohlgefallen. »Ist das die echte Unterschrift von Werner Schulze-Erdel?«, fragte ich in ehrfurchtsvollem Flüsterton.
»M-hm. Meine Mutter hat sogar ’ne Autogrammkarte von Roberto Blanco, die hätt ich dir auch mitgebracht, aber ich glaub, die hat schon der Macker mitgehen lassen.«
»Wohnst du immer noch bei deiner Oma?«, fragte ich.
»Ja klar. Die hat jetzt auch ein eigenes Zimmer für mich gemacht. Voll cool. Die hilft mir auch mit Hausaufgaben, aber ich mach immer noch Fehler.«
»Ist doch egal. Ich mach auch Fehler«, gestand ich.
»Du kannst doch voll gut schreiben«, sagte Dominik.
»Ja, aber ich weiß die Namen der Bäume und Vögel nicht. Wie heißt denn eigentlich deine Oma?«
Dominik schaute verwirrt drein.
»Na, Oma halt. Wie heißt denn deine?«
»Greta«, entgegnete ich.
»Greta ist voll der komische Name. Ich kenn niemanden, der so heißt.«
Wir saßen eine ganze Weile schweigsam auf dem Dach und baumelten mit den Beinen.
»Sag mal. Wieso seid ihr eigentlich von Polen weggegangen?«, fragte Dominik. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass sich dafür noch nie jemand interessiert hatte. Also begann ich, ihm zu erzählen. Von dem Quelle-Katalog, den ich für ein Buch aus einer magischen Welt gehalten hatte, und von den Cola-Dosen, die Aneta und ich mit Wasser aufgefüllt hatten, um daraus zu trinken. Ich erzählte ihm auch, wie ich mit einem Stock » BRD « in den Dreck geschrieben hatte, worauf er ausrief:
»Das hab ich auch gemacht! Mit USA . Da will ich auch mal hinwandern. Dauert aber voll lange, glaub ich. Kommst du dann mit?«
Ich musste so lachen, dass ich die Kirschlimo herausprustete. »Scheiße, Mann, du hast dich voll besudelt!«, rief Dominik und zeigte auf die roten Flecken auf meinem Kleid. »Ach Kacke, ich soll ja nicht mehr fluchen!«, fügte er zerknirscht hinzu.
Ich blickte gleichmütig auf die roten Flecken auf dem weißen Stoff, wie damals, 1986, als Tschernobyl das einzige Thema gewesen war und ich die Jod-Flüssigkeit nicht hatte trinken wollen. Aber hier, auf dem Dach eines verrosteten VW -Käfers, spielte ich nicht tot. Ich war
Weitere Kostenlose Bücher