Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
Territorialreiche nur mittelbar betroffen, als Peripherie, aus der aber wachsende Mengen Rohstoffe gen Osten verschifft wurden.
In Sizilien setzte das Metallzeitalter um 2500 v. Chr. ein, ohne jedoch eine vergleichbare Machtkonzentration zu bewirken. Im Gegenteil: In Sizilien zerfielen großräumige Strukturen. Recht bald erstarben der rege Obsidian- und Wollhandel, und die jahrtausendealte sizilisch-maltesische Koine zerfiel. Sie machte einer Fülle lokaler und regionaler Keramikstile Platz, die alle gewisse Merkmale teilten und etwas irreführend der sogenannten Castelluccio-Kultur zugeordnet werden. Wie so oft erklärt sich die Bezeichnung forschungsgeschichtlich: In Castelluccio bei Noto stieß der italienische Archäologe Paolo Orsi (1859 –1935) Ende des 19. Jh. erstmals auf eine reich dekorierte Keramik, die sich grundlegend von den spätneolithischen Waren unterschied. Verwandte Keramikstile fanden sich überall über die Insel verteilt; sie alle gehören lose zusammen, bilden aber deutlich voneinander zu differenzierende regionale Gruppen, die sich von ca. 2500 bis ins zweite vorchristliche Jahrtausend behauptet haben mögen.
Die neue Vielfalt und das Ende der Koine bedeuten nicht, dass die Kontakte zur Außenwelt gänzlich abrissen. Dies bezeugt eine Serie von dekorierten Knochentafeln, von denen insgesamt 17 über die gesamte Insel verstreut gefunden wurden. Offenbar wurden die Tafeln, die durchweg eine Reihe halbkugelförmig vorragender „Knöpfe“ aufweisen und mit Ritzzeichnungen verziert sind, in Sizilien hergestellt. Tafeln derselben Machart fanden sich auch auf Malta, in Süditalien und sogar in Griechenland und Kleinasien. Vermutlich zirkulierten |17| sie in regionalen Tauschsystemen, in denen sie von Hand zu Hand wanderten und schließlich auch weit entfernte Bestimmungsorte erreichten.
Mit der Castelluccio-Keramik und der Bronzetechnologie hielten neue Baustile, Begräbnisformen und Wirtschaftspraktiken auf der Insel Einzug. Gleichzeitig mit der Bronzetechnologie breitete sich der Typus des in den Fels geschnittenen, oberirdischen Kammergrabs aus: Die Toten wurden nun aus der Mitte der Gemeinschaft verbannt – ein grundlegender Wandel, in dem sich die zunehmende Komplexität der dörflichen Gesellschaft spiegeln dürfte. Deren Siedlungen waren nun erheblich größer als zuvor und vor allem stärker befestigt: Ein großes Castelluccio-Dorf wurde nahe Syrakus bei Melilli entdeckt; es war von einer 3m starken Mauer umgeben, die mit halbkreisförmigen Türmen bewehrt war. Eine ähnliche Anlage fand sich auch einige Kilometer entfernt auf der Halbinsel von Thapsos.
Von herausragender Bedeutung für unser Verständnis der Castelluccio-Periode ist aber ein Fundplatz namens La Muculufa, eine kleine Siedlung auf einem das Tal des Flusses Salso überragenden Gipfel, 30 km westlich von Agrigent. Bemerkenswert ist das an das Dorf angeschlossene Heiligtum, das lediglich aus einem System von Terrassen bestand. Hier fanden sich die Scherben unzähliger hochwertiger Keramikgefäße, die von Opfernden den Göttern dargebracht wurden. Etliche der Gefäße haben Verzierungen, die deutlich von dem Material aus dem Dorf selbst abweichen, aber markante Parallelen zu Töpferwaren aus dem Umland von La Muculufa: Der Schluss liegt nahe, dass hier Menschen aus dem gesamten Salso-Tal zusammenkamen, um zu opfern. Eine religiöse Amphiktyonie, wie sie sich hier in La Muculufa abzeichnet, war oft der Nukleus auch eines politischen Zusammenschlusses. Möglicherweise macht uns also die primitive Anlage hoch über dem Salso zu Zeugen erster territorialer Organisation im prähistorischen Sizilien.
Parallel zur Castelluccio-Kultur in Sizilien kam im 3. Jahrtausend auf den Liparischen Inseln eine materielle Kultur auf, die mit dem Ort La Montagnola di Capo Graziano auf Filicudi assoziiert wird. Die Menschen auf den Inseln wohnten in Hütten, deren Fußböden aus Keramikscherben bestanden und die auch sonst zahlreiche Merkmale mit Wohngebäuden teilten, wie sie gleichzeitig in der Ägäis errichtet wurden. Ebenfalls in die Ägäis weisen die Dekorationsmuster der Keramik: Ritzzeichen, die an die minoisch-mykenischen Linear-Schriften erinnern und auch auf frühhelladischer Töpferware zu finden sind. Die Hersteller dieser liparischen Keramik müssen nicht unbedingt aus Griechenland gekommen sein; dass aber Ägäis und Liparische Inseln Teile einer schon recht engmaschigen Kontaktsphäre waren, wird man nicht leugnen
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