Skandal im Ballsaal
das äußerste bemüht gewesen war, ihre Stieftochter zu einer vornehmen jungen Dame zu erziehen, hatten weder die Prügel, die Phoebe verabreicht wurden, noch die Last von Stunden, die sie einsam eingesperrt verbrachte, geholfen, sie von dem zu befreien, was Lady Marlow „wilde Streiche" nannte. Sie galoppierte durch die ganze Gegend, bestieg entweder ihr. eigenes Reitpferd oder eines der großen Jagdpferde ihres Vaters, zerriss ihre Kleider, plauderte vertraulich mit den Reitknechten, stickte abscheulich und stand (nach Lady Marlows Meinung) auf viel zu innigem Fuße mit ihrem Jugendfreund Mr Thomas Orde, dem Sohn des Squires. Wenn es ihr möglich gewesen wäre, hätte Lady Marlow sehr rasch solchen Reitübungen ein Ende gesetzt; aber allen Andeutungen gegenüber, die ihm über diesen heiklen Gegenstand gemacht wurden, zeigte Lord Marlow taube Ohren. Im Allgemeinen war er der nachgiebigste Ehemann, aber Pferde waren seine Leidenschaft, und Ihre Ladyschaft hatte schon lange gelernt, dass jeder Versuch, sich in das einzumischen, was die Ställe betraf, fehlschlug. Wie viele schwache Männer, konnte Lord Marlow in seinem Eigensinn geradezu störrisch sein. Er war auf Phoebes Reitkunst stolz und nahm sie stets zu seinen Jagden mit. Theoretisch sollte sie sich nur während seiner häufigen Abwesenheiten von zu Hause in den Ställen aufhalten, praktisch war sie jedoch dort, wann immer es sich einrichten ließ.
Als er gebieterisch zu Lady Ingham nach London zitiert wurde, verließ Lord Marlow, ein träger Mann, murrend Austerby. Er kehrte zwei Tage später in bester Laune zurück und in ungewöhnlicher Liebe zu seiner ehemaligen Schwiegermutter. Eine so glänzende Heirat, wie diese sie für Phoebe arrangiert zu haben schien, hatte er niemals für möglich gehalten, denn Phoebe hatte während ihrer Londoner Season nicht allzu viel Glück gehabt. Lady Marlow hatte sie auf Manieren gedrillt; Lord Marlows unausgesprochene Meinung war, sie hätte dabei übertrieben. Ein wenig mehr Lebhaftig-keit, von der Phoebe seines Wissens nach genug besaß, wäre nötig gewesen, um die Nachteile einer dünnen, sehnigen Figur und eines braunen Teints auszugleichen. Nirgends konnte man größere Schönheit finden als in ihren klaren grauen Augen, die zwar vor Übermut blitzen konnten, häufiger aber den Ausdruck furchtsamen Argwohns trugen.
Lady Marlow war eine christliche Frau, und sie neidete Phoebe nicht ihr erstaunlich großes Vermögen, wie unwert sie dessen auch sein mochte. Tatsächlich beschloss sie, darauf zu achten, dass Phoebe nichts unternahm, einen so vorzüglichen Bewerber abzuschrecken, während er auf Austerby weilte. „Denn du kannst dich darauf verlassen", sagte sie, „was auch immer Salford dazu bewegen mag, um die Tochter der Freundin seiner Mutter zu werben, er wird nur eine Frau heiraten, die sich mit Anstand zu benehmen weiß.
Was mich betrifft, bin ich überzeugt, dass ihm diese Heirat von Lady Ingham vorgeschlagen wurde. Phoebe muss jetzt einen guten Eindruck auf ihn machen. Er hat sie in London im Frühling getroffen - tatsächlich war er mit ihr auf Lady Seflons Ball zum Tanz angetreten -, aber wenn er sie wiedererkennen würde, ist das mehr, als ich erwarten kann. Für seinen Geschmack ist sie viel zu unansehnlich."
„Meinst du nicht, meine Liebe", wagte Seine Lordschaft einzuwenden, „es wäre klüger, ihr nicht zu sagen, warum er uns besuchen kommt - das heißt, wenn er wirklich kommt, was, wie du weißt, nicht sicher ist?"
Nein, Ihre Ladyschaft meinte das ganz und gar nicht, außer es sei der Wunsch ihres Gemahls, seine Tochter möge den Herzog sofort abschrecken, indem sie über und über mit Schlamm beschmutzt hereinkam, mit einer ihrer unüberlegten Bemerkungen herausplatzte oder ihm eine sehr eigenartige Vorstellung von ihrem Charakter gab, indem sie die Vertraulichkeiten des jungen Orde ermutigte.
Lord Marlow wünschte nichts dergleichen, und obwohl er an Phoebes Freundschaft mit dem jungen Orde nichts Ta-delnswertes sah und wusste, dass ihre Beziehung zueinander wie zwischen Bruder und Schwester war, ließ er sich leicht davon überzeugen, es könne von Salford missverstanden werden, der vielleicht sehr eifersüchtig war. Er stimmte zu, dass die Besuche Toms auf Austerby und die Phoebes auf Manor eingestellt werden sollten, hoffte aber im Stillen, dass seine Frau den Squire und dessen Frau nicht verstimm-te. Lord Marlow stand nicht gern auf schlechtem Fuß mit seinen Nachbarn; zudem war der
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