Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute
eine Veränderung in Gang zu bringen. Auf Dauer ist es zum Scheitern verurteilt, auch wenn Einzelne davon profitieren mögen. So verstanden lässt sich von Triers Film nicht nur als späte Auseinandersetzung mit der 68er-Bewegung lesen, sondern auch als selbstironischer Kommentar zu der von ihm mitinitiierten «Dogma»-Bewegung. Nicht nur inhaltlich, sondern auch formal präsentiert sich der Film bewusst «idiotisch», indem er sich der vermeintlichen technischen Errungenschaften des kommerziellen Hollywoodkinos verweigert. Eine Haltung, die in der Rezeption des Films auf einige ebenso provozierend wirkte wie auf andere die Filmhandlung oder die brachial inszenierten Sexszenen.
155 … echte Befreiung?
156 «an der Grenze des Erträglichen»
157 «historischer Durchbruch»
158a–b ‹Idiotischer› Alltag
Nicht simulierter Abscheu – der Skandal
«Il est merde! Il est merde!», schrie der renommierte britische Filmkritiker Mark Kermode von hinten durch den Kinosaal, als I DIOTEN bei den Filmfestspielen in Cannesvorgeführt wurde, und er hörte erst auf zu rufen, als er aus dem Saal flog. 1 Kermode war nicht der Einzige, der sich an der Croissette über von Triers «Dogma»-Streifen empörte. Der Film polarisierte die Festivalbesucher, rief Abscheu und Ekel hervor, erntete zugleich aber auch Bewunderung und Lobeshymnen. In Kritik geriet I DIOTEN nicht nur wegen seiner sexuell expliziten Bilder (z.Bsp. ist in einer Szene Stoffers erigierter Penis in der Damendusche eines Schwimmbads zu sehen), sondern vor allem aufgrund der Darstellung der Behinderten, die von vielen als würdelos und diskriminierend empfunden wurde. So etwa in jener Szene, in der Jeppe von zwei Bikern beim Urinieren geholfen wird, und besonders in der Gruppensexszene, in der die Mitglieder der Kommune auch während des «Rudelbumsens» (Abb. 156) ihre Rollen als «Idioten» beibehalten. Für diese Aufnahmen verlangte von Trier auch seinen Darstellern einiges ab. Nach eigenen Aussagen engagierte er für die Nahaufnahmen beim Geschlechtsverkehr professionelle Pornodarsteller, die zeitgleich zur inszenierten Gruppensexszene seiner Schauspieler im selben Raum realen Sex hatten. 2
Anders als in Deutschland, wo der Film mit einer Freigabe ab 16 Jahren die FSK passierte, erhielt I DIOTEN in vielen anderen Ländern nur eine Altersfreigabe «ab 18». Trotz der expliziten und nicht simulierten Sexszenen, die im Film gezeigt wurden (Abb. 157), sprachen die meisten Prüfstellen dem Film jedoch einen Kunstcharakter zu, was ihn davor bewahrte als Pornografie eingestuft zu werden. Lars von Triers Reputation als international anerkannter Regisseur dürfte nicht unwesentlich zu dieser Einschätzung beigetragen haben. Dennoch kam der Film in einigen Ländern in gekürzten Fassungen in die Kinos, weil nur so die gewünschte Altersfreigabe erreicht werden konnte. Um ein «NC–17»-Rating zu vermeiden, das allen Jugendlichen unter 18 Jahren den Zugang zum Film verwehrt hätte, blendete der US-Filmverleiher «USA Films» in der Gruppensexszene schwarze Balken über die Aufnahmen der männlichen Genitalien sowie der Penetrationen. In der abgeänderten Fassung erhielt der Film ein «R»-Rating, das es Jugendlichen unter 17 Jahren erlaubt, in Begleitung eines Erwachsenen den Film zu besuchen. In Australien kam I DIOTEN in einer um etwa zwei Sekunden gekürzten Fassung in die Kinos, in der die explizitesten Einstellungen aus der Gruppensexszene entfernt wurden. Dadurch konnten die Verleiher das für pornografische Filme vorgesehene «X»-Rating vermeiden. Stattdessen erhielt I DIOTEN in Australien in der geschnittenen Fassung die reguläre Altersfreigabe ab 18: «R18+».
In Irland verbot der offizielle irische Filmzensor, Sheamus Smith, den Kinovertrieb des Filmes mit der Begründung, der Film drohe das Publikum moralisch zu «verderben». 3 Smith, der von 1987 bis 2003 das IFCO(«Irish Film Censor’s Office») leitete, galt in der Geschichte der irischen Filmzensur als ausgesprochen liberal. Kevin Rockett verwies in seinem Standardwerk über die irische Filmzensur («Irish Film Censorship» 4 ) darauf, dass in Smith’ Ära nur noch äußerst selten Filmverbote ausgesprochen wurden. Lars von Triers I DIOTEN war ein solcher Ausnahmefall.
Zu erneuten Protesten kam es, als der Film 2005 im britischen Fernsehsender «Channel 4» ungeschnitten ausgestrahlt wurde. Die britische Medienaufsichtsbehörde Ofcom («Office of Communication») leitete daraufhin eine
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