Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute
für einen etwas sonderbaren, aber liebenswürdigen und harmlosen Burschen hält, kennt der Filmzuschauer Marks schrecklichstes Geheimnis bereits seit dem Vorspann: Er ist ein Frauenmörder. Genauer: ein Psychopath, der von der Todesangst seiner weiblichen Opfer angezogen wird und vom unstillbaren Wunsch, sie zu Zeuginnen ihres eigenen Sterbens werden zu lassen.
Obwohl er sich hierfür eine ebenso perfide wie perverse Apparatur ausgedacht hat (an einem nach vorne ausklappbaren Stativbein seiner Kamera hat er ein Messer befestigt, gleichzeitig hat er an die Kamera einen Spiegel angebracht, um auf diese Weise die Opfer dazu zu zwingen, ihren eigenen Tod zu betrachten, den er gleichzeitig auf Film bannen möchte), gelingt es ihm nie, den entscheidenden Augenblick festzuhalten. Außer an technischen Problemen liegt dies an der grundsätzlichenUnmöglichkeit, den eigenen Tod – und damit ja auch das Ende der Selbstwahrnehmung – wahrzunehmen. Dieser Paradoxie kann Mark auch dadurch nicht entrinnen, dass er sich am Ende selbst mordet und so den Täterblick der Kamera an seinen eigenen Opferblick rückkoppelt (Abb. 79a–f).
79a–f «Krankhafte Triebe eines mörderischen Perversen»
So faszinierend und brisant diese erkenntnistheoretischen und selbstreflexiven, medienkritischen Erwägungen einerseits sind, da sie den latenten Voyeurismus des Kinos offenbaren, so artifiziell und abwegig gerät andererseits die von Mark erdachte Filmmordmaschine als dramaturgischer Motor. Wenig glaubhaft, ja fast lächerlich wirkt, wie leicht sich die Frauen in P EEPING T OM von Marks Todeskamera paralysieren lassen und in hilflose Opfer mit weitaufgerissenen Augen verwandeln, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, einem Mann zu entkommen, der umständlich mit seiner schweren Kameraausrüstung hantiert und ziemlich unbeweglich und äußerst langsam auf sie zu trottet. Diese eklatante Schwäche eines gegen jede Handlungslogik theoretisierenden Drehbuches hatte aber auch ihr Gutes. Michael Powell ermöglichte sieeine (damals) avantgardistische Filmperspektive, die den Zuschauer immer wieder in die Tätersicht zwingt, indem sie ihn durch dessen Kamera hindurchblicken lässt. Dass der in satten gelb-rot Tönen eindrucksvoll fotografierte Streifen sich von den Filmen seiner Zeit provokativ abhob, lag nicht zuletzt jedoch auch am Blick auf den Täter, der dank Karlheinz Böhms feinem, doppelbödigem Spiel irritierend charmant, verletzlich, ja geradezu bedauernswert wirkte.
Durch die Augen eines Mörders – der Skandal
Rückblickend lässt sich nur schwer nachvollziehen, wodurch P EEPING T OM in Großbritannien und Deutschland einen solchen Skandal auslösen konnte, dass er die filmischen Karrieren des englischen Regisseurs Michael Powell und seines österreichischen Hauptdarstellers Karlheinz Böhm auf einen Schlag wenn nicht beendete, so doch drastisch beeinträchtigte. Von den Morden ist im Film kaum mehr zu sehen als die angstverzerrten Gesichter der Opfer. Eine reißerische Gewaltdarstellung kann man dem Film daher kaum nachsagen. Auch freizügige Aufnahmen bleiben eine Seltenheit. Dennoch verband die FSK ihre Freigabe des Films 1960 mit Jugendverbot und der Schnittauflage, eine Szene, in der eines der Opfer mit nacktem Busen zu sehen ist, zu kürzen.
----
Karlheinz Böhm
(* 16.3.1928)
Ins kollektive Filmgedächtnis gespielt hat sich der am 16. März 1928 in Darmstadt geborene Österreicher durch seine Rolle als Kaiser Franz Joseph in Ernst Marischkas S ISSI -Trilogie und an der Seite von Romy Schneider. Der Versuch, seiner Karriere Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre eine neue Richtung zu geben und sich mit vielschichtigeren Rollen vom «rosaroten Marzipanschweinchen-Image der fünfziger Jahre» 1 freizuspielen, scheiterte zunächst ebenso wie die Hoffnungen auf eine internationale Schauspiellaufbahn. Vielmehr führte der Skandal um P EEPING T OM zu einem Knick in seiner Filmkarriere. Stattdessen übernahm er Rollen in amerikanischen TV-Serien, trat im Theater auf, inszenierte Opern und moderierte im Fernsehen. In den 70er Jahren, noch ehe Scorsese P EEPING T OM rehabilitierte, machte er als Darsteller in Fassbinder-Filmen (F ONTANE E FFI B RIEST , M ARTHA , F AUSTRECHT DER F REIHEIT ) noch einmal schauspielerisch von sich Reden. Nach 1975 (M UTTER K ÜSTERS’ F AHRT ZUM H IMMEL ) stand er dann nur noch sporadisch vor der Kamera. Am 16. Mai 1981 rief er in der ZDF-Sendung «Wetten, dass …» zu Spenden für die hungernden
Weitere Kostenlose Bücher