Skelett
Lucinda mit heller, melodischer Stimme.
Als Tarvin den Kaffee einschenkte, starrte er Paula plötzlich so kalt und durchdringend an, als würde er gerade abschätzen, wofür sie ihm nützlich sein konnte. Lucinda holte ein goldenes Etui aus der Tasche, steckte eine Zigarette in eine lange schwarze Spitze und zündete sie dann mit einem juwelenbesetzten Feuerzeug an. Dabei vermied sie es konsequent, Tarvin anzusehen.
Nachdem er sich wieder entfernt hatte, sagte Lucinda zu Paula: »Also, ich finde diesen Mann unheimlich. Wie überhaupt das gesamte Personal hier irgendwie seltsam ist. Ich habe Larry schon wiederholt gebeten, etwas dagegen zu unternehmen, aber er winkt immer nur ab. Er will sich nicht auch noch um Probleme mit dem Personal kümmern, sagt er.«
Während Paula ihren Kaffee trank, sah sie sich Lucinda genauer an. Sie war Anfang dreißig und hatte eine exzellente Figur, die von ihrem eng anliegenden Cocktailkleid aus Goldlurex noch betont wurde. Die Augen waren von einem tiefen Dunkelblau, das sie geradezu betörend wirken ließ. Am meisten jedoch war Paula von der Lebendigkeit dieser jungen Frau beeindruckt.
»Ich mag Tarvin auch nicht besonders«, sagte Paula schließlich. »Wohnen Sie eigentlich hier?«
»Himmel, nein. Ich bin hier nur zu Besuch. Meine Wohnung ist in London, in der Nähe der Baker Street«, sagte Lucinda und lehnte sich zurück. Sie kam Paula so vor, als hätte sie sich plötzlich verändert. Sie straffte die Schultern und machte ein ernstes Gesicht. »Ich arbeite bei Gantia in Basingstoke und bin dort für die Sicherheit verantwortlich. Hier mache ich sozusagen nur eine Stippvisite.«
Paula stellte fest, dass sie Lucinda unterschätzt hatte. Sie war offenbar nicht die Tochter aus reichem Haus, die sich am liebsten auf wilden Partys herumtrieb, sondern eine ernsthafte junge Frau, die nicht viel von leerem Geschwätz hielt.
»Ich bin beeindruckt«, sagte Paula.
»Und wohl auch ziemlich überrascht. Sie haben mich wahrscheinlich für eine Art Playgirl gehalten. Sicher, ich amüsiere mich hin und wieder ganz gern, aber trotzdem steht für mich die Arbeit an erster Stelle. Mein Onkel Drago hat schallend gelacht, als ich mich um den Job beworben habe. Dabei habe ich ein Jahr lang bei Medford gelernt. Sie kennen doch bestimmt die Agentur Medford, Paula, eine der ersten Adressen in London, wenn es um Sicherheit geht. Der Direktor hat mir ein Spitzenzeugnis ausgestellt, und das habe ich Onkel Drago unter die Nase gehalten und gesagt: ›Sieh dir das an, und dann entscheide dich!‹ Daraufhin hat er mich eingestellt, mit sechsmonatiger Probezeit. Das war vor zwei Jahren.«
»Schön für Sie. Langsam gewinne ich den Eindruck, dass Ihr Onkel eine ziemlich dominante Persönlichkeit ist.«
»Das ist er in der Tat. Aber nur, wenn man ihn das sein lässt. Was ich nicht tue.«
Tweed, der sein Gespräch mit Larry beendet hatte, gesellte sich zu ihnen. Er legte Lucinda eine Hand auf die Schulter, worauf sie ihn anlächelte.
»Ja?«
»Ich wollte Ihnen nur Gute Nacht sagen, Lucinda. Wir haben ja unsere Visitenkarten ausgetauscht und wissen damit, wie wir einander erreichen können. Ich rufe Sie an, sobald ich wieder in London bin.«
»Tun Sie das«, sagte Lucinda.
»Paula und ich sollten uns jetzt lieber zur Nachtruhe zurückziehen. Wir haben einen schweren Tag hinter uns. Bis bald, Lucinda.«
Larry wünschte Paula seinerseits eine gute Nacht. »Ihre beiden Zimmer gehen vorn zum Moor hinaus. Mr Tweed hat die Schlüssel. Schlafen Sie gut.«
Als Paula mit Tweed in die leere Halle trat, sagte sie zu ihm: »Akzeptiert Larry eigentlich die Tatsache, dass Michael sein Gedächtnis verloren hat? Und weiß Lucinda es auch?«
»Reden wir, wenn wir oben sind. Larry hat darauf bestanden, dass wir hier übernachten.«
»Und was haben Sie mit Lucinda vor? Oder sollte ich lieber nicht fragen?«
»Warten Sie, bis wir in unseren Zimmern sind. Diese Geschichte hier macht mir große Sorgen.«
7
Oben auf der Treppe wandte Tweed sich nach rechts, so wie Larry Voles es ihm erklärt hatte. Der breite, lange Korridor wurde von ein paar schwachen Wandlampen nur düster erleuchtet. Tweed gab Paula einen der beiden großen Schlüssel, die er in der Hand hielt.
»Wir haben die Zimmer sechzehn und siebzehn. Sie liegen nebeneinander. Die Fenster sollen wie gesagt zum Moor hinausschauen, was vielleicht gar nicht schlecht ist. Auf diese Weise bekommen wir wenigstens mit, was da draußen vor sich geht.«
»Ziemlich
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