Skin Game: Gefährliche Berührung (German Edition)
allein zu übernachten.«
Reyes schaute zu ihr und sah ihre Missbilligung. Endlich kapierte sie. Die meisten Kinder mussten um eine bestimmte Uhrzeit zu Hause sein, wo jemand kontrollierte, ob die Hausaufgaben gemacht waren, doch ihm hatte daheim ein Musiker Geklimper und Starkbier angeboten. Es grenzte an ein Wunder, dass er nicht mit einer Nadel im Arm krepiert war.
»Ja«, sagte er leise, »zum Beispiel.«
»Du wurdest also groß und gemein und bist zur Armee gegangen, weil du wolltest, dass dir zur Abwechslung mal jemand sagt, was du tun sollst.«
Er erschrak leicht. Sie verstand ihn ein bisschen zu gut. Doch er ließ sich sein Unbehagen nicht anmerken.
»Ja, so ungefähr. Aber ich bin zu den Marines gegangen.«
Sie grinste ihn an. »Und da hast du dann gemerkt, dass es dir gar nicht gefällt, weil du daran gewöhnt warst, tun und lassen zu können, was du wolltest. Also hast du nicht verlängert.«
»Stimmt. Wer erzählt die Geschichte eigentlich?«
»Du. Aber ich bin eben ein interaktiver Zuhörer.« Ihre unbeschwerte Selbstzufriedenheit hatte verrückte Auswirkungen auf seine Gefühlswelt.
Da er sich nicht anders zu helfen wusste, zog er sie näher zu sich heran und gab ihr einen zarten Kuss auf die Schläfe. Kokos. Sie passte nicht in die Berge. Sie gehörte an einen weißen Strand zwischen Holzhütten mit Palmdächern und dem türkisblauen Meer.
»Tja, das ist alles.«
»Stimmt nicht. Ich wette, dass du mit achtzehn hingegangen bist. Da bleiben also noch Jahre dazwischen. Was hast du in der ganzen Zeit gemacht?«
Er wollte die Harmonie nicht stören, jedoch auch nicht die Wahrheit sagen. Was ihn zu seinem jetzigen Leben geführt hatte, vertrug keinen prüfenden Blick, vor allem nicht vonseiten der Zielperson. »Du wolltest etwas hören, wovon kein anderer weiß, und nicht meine komplette Lebensgeschichte.«
»Du hast mich billig abgespeist; bestimmt wissen viele davon«, wandte sie stirnrunzelnd ein. »Von der Zeit mit deinem Vater, meine ich. Auf jeden Fall schon mal die Leute, die du damals gekannt hast.«
Tatsächlich hielten ihn alle für tot. Aber auch das würde er ihr nicht auf die Nase binden. Reyes rieb ihr sacht die Schulter und genoss das Gefühl, sie zu berühren.
»Ja … Trotzdem war für dich etwas dabei, das kein anderer weiß.«
»Was?«
»Dass es mir etwas ausgemacht hat.«
Er hatte nie jemandem gegenüber durchblicken lassen, dass er wünschte, es wäre anders gewesen. Kein einziges Mal. Hatte nie angedeutet, dass ihn diese totale Freiheit nicht begeisterte. Sich etwas zu wünschen, das man nicht haben konnte, wirkte schwach. Cesar konnte sehr gut Gitarre spielen, mehr brauchte er nicht.
»Sind sie noch am Leben?«, fragte sie. »Deine Eltern?«
»Keine Ahnung.«
»Hast du nie nach ihnen gesucht, seit du nicht mehr bei den Marines bist?«
»Ich finde, die bessere Frage ist, ob sie je nach mir gesucht haben.«
Er kannte die Antwort. Das war nicht nötig gewesen. Die Regierung hatte seinem alten Herrn ein höfliches Kondolenzschreiben geschickt, in dem sie sich für sein großes Opfer bedankte. Reyes stellte sich gern vor, dass Cesar ihm zu Ehren vielleicht eine Pfeife geraucht hatte. Für eine Weile saßen sie schweigend da.
Dann sagte Kyra: »Seit mein Vater tot ist, habe ich keine Familie mehr. Meine Mom starb, als ich vier war.«
Endlich etwas, das er noch nicht gewusst hatte.
»Das tut mir leid.«
»Braucht es nicht. Ich kann mich kaum an sie erinnern.«
»Aber deinem Vater hast du nahegestanden?« Er hatte sie so weit, sich zu öffnen, die perfekte Gelegenheit, sie auszuhorchen.
»Sehr. Es brach mir das Herz, als er starb.« Sie biss sich auf die Unterlippe und presste die Zähne zusammen. Wie es schien, kämpfte sie mit den Tränen.
Scheiße. So sah eine Frau nicht aus, wenn sie einen Menschen getötet hatte. Es gab keinen Grund für Kyra, ihm etwas vorzumachen, es sei denn, sie hatte ihn durchschaut und führte ihn gerade genüsslich hinters Licht. Aber nein, sein Instinkt sagte ihm, dass sie ihm gegenüber ehrlich war.
»Was ist passiert?«
Ganz in Gedanken, merkte sie nicht, welche Tragweite ihre Antwort hatte. Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf an seine Schulter. Ihre Stimme klang gedämpft. »Er hat sich üble Feinde gemacht. Mein Vater war ein Falschspieler, der sich meistens mit kleinen Summen zufriedengab. Dann hat er sich in den Kopf gesetzt, das große Geld zu machen, damit wir mal ein unbeschwertes Leben führen könnten. Er hat total
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