Skinwalker 01. Feindesland
möglichen Pflanzen wuchsen hier, einige mit langen Stängeln und Blättern so groß wie Elefantenohren in diversen Farbkombinationen. Ich erkannte Kletterrosen und Jasmin und noch einiges andere, aber meine Botanikkenntnisse waren eher dürftig. Etliche Pflanzen blühten und verströmten herrlichen Duft. Ich nahm einen Hauch von Katzenminze wahr. Tief in mir gab Beast ein hüstelndes Geräusch von sich. Ich war mir nie ganz sicher, was das bedeutete, denn so reagierte sie mal auf erfreuliche, mal auf unangenehme Entdeckungen. In diesem Fall war es vielleicht nur ein Zeichen des Erkennens.
Von der Straße aus wirkte das Haus schmal, doch nach hinten war es lang gestreckt. Über der ebenerdigen Terrasse befand sich ein breiter Holzbalkon mit Blick auf den kleinen Seitenweg und den Garten. Oben erspähte ich Stühle und mehrere Tischchen. Auch hier sorgten schmiedeeiserne Geländer dafür, dass niemand aus Versehen herunterfiel. Die Terrasse war mit Schieferplatten gefliest und ebenfalls mit einer schmiedeeisernen Reling ausgestattet. Die hohen französischen Fensterläden, fünf pro Stockwerk, waren geschlossen. Auf der Rückseite des Hauses gab es oben und unten jeweils eine Tür, von der Stufen in den Garten führten. Das machte insgesamt vier Türen, alle kinderleicht zu öffnen. Nicht gerade einbruchssicher.
Drinnen konnte ich mich später umsehen. Zuerst der Garten. Ich schob die Harley weiter. Am Ende des Weges öffnete sich das Grundstück zu einem etwa neun mal zwölf Meter großen Rechteck. Ein traumhafter Garten, umgeben von einer schmucken, aber höchst zweckdienlichen knapp fünf Meter hohen Backsteinmauer, und vielfältig bepflanzt. In einer Ecke plätscherte ein Springbrunnen. Das Wasser strömte aus einer riesigen marmornen Tulpe, auf der eine nackte Frau thronte. Die Skulptur war meisterhaft gefertigt, und mir fiel auf, dass die Figur Ähnlichkeit mit Katie hatte. Die winzigen Fangzähne waren ein deutlicher Hinweis. Wie viele Häuser besaß sie hier wohl? Vielleicht gehörte ihr der ganze Block. Wer seit zweihundert Jahren lebte, hatte in Sachen Immobilien einen hübschen Vorsprung. Oder seit dreihundert Jahren. Oder noch länger.
Über den Geräuschpegel der Stadt hinweg und obwohl ich das Röhren der Harley noch im Ohr hatte, konnte ich den kleinen Motor der Pumpe hören. Und die Laute eines mir unbekannten Nachtvogels. Sonst war alles still.
Dem Brunnen gegenüber lagen, umsäumt von üppigem Pflanzenwuchs, drei große Findlinge und ein halbes Dutzend kleinerer Felsblöcke, die der Kran hier abgeladen hatte. Der Gärtner hatte in der Tat ganze Arbeit geleistet: Die Steine wirkten, als lägen sie hier schon immer.
Ich klappte den Ständer aus und wanderte durch den Garten, dabei hielt ich Ausschau nach Kabeln, Schrammen im Backstein und anderen Indizien dafür, dass hier nicht nur der Gärtner am Werk gewesen war. Schnell wurde ich fündig. Ein Kratzer in der hinteren linken Ecke, zu hoch, um von einem Spaten zu stammen, und eine gut versteckte elektrische Leitung, die von einer Außenlampe bis zur Backsteinmauer führte.
Ich öffnete die Riemen meines Flintenfutterals und legte es beiseite. Die Jacke folgte. Dann setzte ich mich auf eine Bank, die praktischerweise dort stand, und zog die Stiefel aus. Ich suchte mir drei größere Kieselsteine und ließ sie in den Ausschnitt meines T-Shirts gleiten, wo sie abwärtsfielen, bis der Gürtel sie an Ort und Stelle hielt. Dann rückte ich die Bank bis an die Mauer, spuckte in die Hände – mehr rituelle Geste als Notwendigkeit – , und ging die Mauer an.
Ihre Oberfläche war uneben, manche der Backsteine waren leicht versenkt, andere standen vor, sodass ein geübter Kletterer leicht Halt fand. Ich hatte nicht gerade den Mount Everest bestiegen, aber einige Zeit in den Appalachen gelebt und auch ein paar Kletterstunden gehabt. Es gab vieles, worin ich irgendwann mal ein paar Stunden Unterricht genommen hatte.
Ich bekam einen vorstehenden Backstein zu fassen, schwang das Bein hoch und erwischte mit den Zehen einen zweiten. Ich drückte mich aufwärts, suchte neuen Halt für die Hand, dann für den Fuß. Oben angekommen überprüfte ich die Mauerkante. Kein Stacheldraht, keine einbetonierten Glassplitter, keine Stolperdrähte. Nichts. Sicherheitstechnisch gesehen sehr dürftig.
Flugs zog ich mich vollends hoch und richtete mich auf. Von hier überblickte ich den gesamten Nachbargarten. Ein kleiner Hund, mehr Fell als Fleisch, knurrte mich an.
Weitere Kostenlose Bücher