Skinwalker 01. Feindesland
läuteten Glocken. Noch nicht ganz wach, rollte ich mich aus dem Bett. Da fiel mir wieder ein, dass ich einen jungen wilden Vampir getötet und das Kopfgeld verschenkt hatte. Ich musste verrückt sein.
Während das Wasser im Kessel heiß wurde, zog ich Jeans, mein bestes T-Shirt und Stiefel an und rollte den noch ungetragenen Rock in Beasts Tasche ein, in der Hoffnung, dass er nachher nicht allzu zerknittert sein würde. Ich trank eine Kanne Tee, aß Haferflockenbrei und las die New Orleans Times-Picayune . Überall woanders wäre das ein seltsamer Name für eine Zeitung gewesen. Hier nicht. Hier passte er perfekt.
Die Schlagzeilen verkündeten, dass ein hiesiger Lokalpolitiker erwischt worden war, als er mit einem Transvestiten zusammen aus einem Hotel kam. Der Bürgermeister und seine Frau posierten mit dem Gouverneur und seiner Frau für Fotos. Die Obamas hatten in Frankreich an irgendeiner Veranstaltung teilgenommen. In New Orleans ansässige Musiker sammelten Spenden, um die Häuser wieder aufzubauen, die Katrina zerstört hatte. In den nächsten Tagen würde es noch heißer werden. Und feucht. Überraschung, Überraschung. Nichts über die Vamps. Wie traurig, wenn nichts, was im Getto passiert, berichtenswert ist. Oder Leo hatte dafür gesorgt, dass die Story nicht gebracht wurde. Wer wusste das schon.
Um halb elf setzte ich den Helm auf, verließ das Haus und startete mein Bike, um eine frühmorgendliche Tour durch die Stadt zu unternehmen. Da ich nicht katholisch war, würde ich nicht den Gottesdienst in einer der großen Kirchen des French Quarter besuchen. Große, protzige Kirchen waren nie mein Ding gewesen. Aber die kleine Kirche neben dem Modegeschäft hatte vielversprechend ausgesehen.
Ich parkte die Maschine im Schatten eines blühenden Baums, stopfte meine Lederjacke in die Satteltasche, zog den Rock über meine Jeans und diese dann aus. Die zusammengerollten Jeans schob ich neben die Jacke und nahm meine alte, abgegriffene Bibel, die ich nicht mehr in der Hand gehabt hatte, seit ich in New Orleans angekommen war. Mein Gewissen wollte sich regen, doch ich brachte es schnell zum Schweigen.
Die Stiefel zu dem Rock sahen ein wenig merkwürdig aus, wie ich feststellte, als ich mich in der Scheibe des Schaufensters betrachtete, aber der Rock war immerhin nicht zerknittert und einem Kirchgang angemessener als die Jeans. Manche Kirchen waren pingelig, was die Kleidung ihrer Gemeinde betraf. Ich wollte niemanden vor den Kopf stoßen, auch wenn mir der Gottesdienst nicht so sehr gefallen sollte, dass ich wiederkam.
Der Gemeinde sang bereits, als ich leise eintrat und in der hintersten Reihe Platz nahm. Sie wurden nicht von Instrumenten begleitet, was ich merkwürdig fand, aber ich kannte die vierstimmigen Hymnen, die die Gemeinde sehr hübsch schmetterte, abgesehen von zwei lauten Stimmen, die den Ton nicht trafen. Vor der Predigt wurde das Abendmahl gereicht, woran ich schon länger nicht mehr teilgenommen hatte. Ich ließ die Oblate in meinem Mund weich werden, und plötzlich war mir, als würde etwas in meinem Hinterkopf heiß, und ich sah kurz Leo Pellissiers Gesicht. Aber der Gedanke, oder was immer es war, zog so schnell weiter, dass ich ihn nicht festhalten konnte.
DasThemaderheutigenPredigtwarKirchenlehre – nichtgeradeeineherzerwärmendeoderaufwühlendePredigt,nichts,wasdieSpiritualitätinWallunggebrachthätte,aberauchnichtschlecht.UnddieLeutewarennett.DiemeistenkamennachdemGottesdienstzumirundstelltensichvor,sovieleGesichter,NamenundGerüche,dassichMühehatte,mirallezumerken.DerPriesterwareinernsterMann,dermitseinemkümmerlichenSchnurrbartaussah,alswäreerzwölf,abervermutlichwarerälter.Ganzsicherwarerdas.Ichfühltemichwohl.WahrscheinlichwürdeichnächsteWochewiederkommen.Wennichdannnochhierwar.
Neben dem Eingang war eine Damentoilette. Dort zog ich meine Jeans wieder an. Ich erwartete, dass die Kirchgänger entsetzt waren, wenn ich in Bikerklamotten wieder auftauchte, doch sie lächelten nur noch freundlicher, wenn das überhaupt möglich war, und zeigten ihre Zähne, um mir zu beweisen, dass sie mich wiedersehen wollten. Egal, ob ich nur Motorrad fuhr oder zu einer närrischen Ledergang gehörte.
Auf dem Parkplatz plauderte ich mit ein paar Teenagern über mein Bike, als ein älterer Mann heranschlenderte, der sich vergewissern wollte, dass ich den Jugendlichen kein Crack verkaufte. Die Jungs waren hin und weg von meiner Maschine. Verständlich, Mischa ist wirklich eine Schönheit. Der
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