Skinwalker 01. Feindesland
Wahrheit zu nahe. Beast regte sich beunruhigt. Ich lächelte breiter, als fände ich diese Feststellung noch amüsanter als die Neuigkeit, dass ich von Wölfen aufgezogen worden war. »Nein « , sagte ich, »das war ich nicht .« Das war mein Vater. Das war eine Erinnerung aus meiner Vergangenheit, die ich lange vergessen hatte. Und der da, dieser Vampir, hatte sie mir zurückgegeben. »Danke « , sagte ich ohne weitere Erklärung.
»Bei uns liegt es in der Verantwortung der Ältesten zu heilen. Es ist eine … « Er brach ab und sein Blick richtete sich nach innen, ins Leere, als wäre er noch immer in meinen Erinnerungen gefangen. Oder in seinen eigenen? Dann schien er sich innerlich zu schütteln und sah mich an. In seinen schwarzen Augen lag leiser Spott. »Eine Pflicht gegenüber denen, die uns dienen .«
»Ich arbeite für Sie « , sagte ich leicht süffisant, »aber das hat seinen Preis .« Ich zog die Ellbogen an und stemmte mich hoch in eine halb sitzende Position. »Ich diene Ihnen nicht. Eigentlich trifft es eher zu, dass Sie mir dienen. Schließlich bezahlen Sie mich für etwas, das ich ohnehin tun würde .«
Leo lachte so herzhaft, dass sich viele kleine Fältchen um seine Augen bildeten. »Keck. Unverschämt .«
Ich bestätigte die Vorwürfe mit einem Nicken.
»Wenn das so ist « , sagte er, »stehe ich gern zu Ihrer Verfügung .« Er musterte mich noch einen Moment. »Ich möchte Sie zu einer Soiree morgen Abend einladen .« Er hob die Hand, ehe ich zu einer ablehnenden Antwort ansetzen konnte. »Die meisten Vampire dieser Stadt werden dort sein. Es ist eine rare Gelegenheit für Sie, alle an einem Ort zu treffen. Wir versammeln uns selten so zahlreich .«
Ich schaute ihm ins Gesicht, sah aber keine Anzeichen, dass er mit seiner Einladung Hintergedanken hegte. »Ich hab nur ein schwarzes Kleid. Eins .«
»Ich bin sicher, dass es sehr passend sein wird « , sagte er mit ausdrucksloser Miene. »Lassen Sie das Haar offen. Dann wird niemand auf das Kleid achten .«
Überrascht lachte ich auf.
»George wird Sie um Mitternacht abholen .« Er warf seinem Bodyguard und Blutdiener einen Blick zu. »Es ist spät. Ich höre den Wagen .«
George nickte und ging zur Haustür. Ich hörte, wie das Schloss klickte und die Tür sich auf gut geölten Scharnieren öffnete. Und dann waren Leo Pellissier und sein Diener fort und hinterließen einen Hauch von Pfeffer und Mandeln, Anis und Papyrus, Tinte aus Blättern und Beeren sowie den warmen Geruch von seinem und meinem Blut.
Es war immer noch genug Zeit, um mich zu wandeln und Beast umherstreifen zu lassen, doch ausnahmsweise blieb das Tier in meiner Seele ruhig. Im Haus war es still. Schläfrig lag ich auf der Couch und nahm mir, was ich selten tat, einen Moment Zeit, um mich zu entspannen.
Fast sechs Uhr. Mühsam stand ich von der Couch auf und ging ins Schlafzimmer. Ich zog mich aus und weichte mein Partykleid mit ein paar Kappen Flüssigwaschmittel ein, während ich duschte und das heiße Wasser die Gerüche und das Blut wegspülte.
In letzter Zeit verbrachte ich auffällig viel Zeit unter der Dusche, aber ich musste mir das Vampirblut aus den langen Haaren waschen. Dann kämmte ich sie und flocht sie zu einem französischen Zopf. Als ich schließlich sauber genug für den Kirchgang war – und immer noch seltsam entspannt – , wickelte ich mich in den Bademantel und sah nach meinen neuen Kleidern. Erstaunlicherweise war das Blut – meins und das des Vampirs – vollständig rausgegangen. Erfreut, dass ich das Geld nicht zum Fenster hinausgeschmissen hatte, hängte ich die tropfenden Sachen in der Dusche zum Trocknen auf und krabbelte ins Bett. Dann lag ich dort, horchte auf das Tropfen des Wassers, betrachtete meinen unversehrten Arm und ruhte mich aus.
Leo Pellissier hatte mich mit seinem Blut und seinem Speichel geheilt. Eigentlich ziemlich eklig. Aber dann auch wieder nicht. Es gab einen Grund, warum ich diesen Job angenommen hatte, mal abgesehen davon, dass vom Rat abgesegnete Vampjagden äußerst dünn gesät waren: Halb hoffte, halb fürchtete ich, dass einer der älteren Vampire meinen Geruch erkennen und mir sagen würde, dass ihm meine Art bekannt war. Leo, der viele hundert Jahre alt sein musste – älter zumindest als Katie, wenn die Hierarchie der Vampire auf Alter basierte – , hatte keine Ahnung, was ich war. Vermutlich wusste er nicht einmal, dass es Skinwalker überhaupt gab. Aber Werwesen und Elfen … Er hatte angedeutet, dass
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