Sklaverei
Prostituierten« zu unterscheiden, zum Scheitern verurteilt. Mahmut versichert mir:
Die albanische und die russische Mafia arbeitet heute mehr denn je mit den türkischen Verbrechersyndikaten zusammen, um Frauen zu schmuggeln, die in der Prostitution enden. Das war schon immer so. Mit einem kleinen Unterschied: Heute, da sich die angeblich zivilisierten Nationen entschlossen haben, dieses Verbrechen zu bekämpfen, ist das Geschäft für alle Beteiligten lukrativer geworden. Für die Menschenhändler, für die Pornoproduzenten und für alle, die den Frauen einen falschen Traum verkaufen. Seit Beginn des Krieges in Afghanistan und im Irak blüht der Handel mit Drogen, Waffen und Frauen. Darüber spricht nur keiner. Aber Sie werden noch sehen, in ein paar Jahren wird die Öffentlichkeit Augen machen, welche Summen die Terroristen und die amerikanischen Privatarmeen mit dem Verkauf von Frauen aus der Region verdient haben. Die Yakuza kaufen im Irak Amphetamine und schmuggeln sie nach Japan, Italien und in die Vereinigten Staaten. Und sie kaufen Mädchen aus der ganzen Welt.
Während ich Monate später diese Zeilen in den Computer tippe, mache ich eine kurze Pause, sehe mir die Fotos an und höre mir die Aufnahmen an, die ich vier Wochen nach meiner Abreise aus der Türkei gemacht habe. Es sind Interviews mit einer Amerikanerin und einer Kolumbianerin, die in Tokio und Osaka an die Yakuza verkauft wurden, und es ist die Geschichte eines mexikanischen Mädchens, das von ihnen ermordet wurde. Wer sich informieren will, der kann das tun. Das Problem ist nur, dass die Regierungen lieber wegsehen, wenn es um die Geschichte der globalisierten Sklaverei geht.
Ich erzähle Mahmut von meiner Begegnung mit Dr. Muhtar Çokar, dem Direktor der Human Resource Development Foundation, einer Organisation, die eine Betreuungsstätte für Opfer des Frauenhandels unterhält. Das Büro der Organisation befindet sich in Istanbul, und dort traf ich mich mit dem Arzt. Çokar war ein ernster Mann, der nicht in der Lage war, mir während unseres Gesprächs in die Augen zu sehen. Er bestätigte mir, dass viele der jungen Frauen aus Moldawien, Russland und anderen Nachbarländern in ihrer Heimat zur Prostitution gezwungen werden. Später kämen sie in die Türkei, weil man ihnen bessere Arbeit und mehr Geld verspreche. Bei ihrer Ankunft in der Türkei seien sie plötzlich auf sich allein gestellt und hätten kein Geld, wüssten aber, dass die türkischen Männer verrückt seien nach osteuropäischen Frauen mit ihren blonden und roten Haaren, ihrer hellen Haut und ihren langen Beinen. Es gebe nicht viele türkische Prostituierte; die Türken seien ein moralisches Volk, und in religiösen Familien sei es vollkommen undenkbar, dass eine Tochter sich prostituiere. Ein Gesetz aus dem Jahr 1930 verbietet verheirateten Frauen und Müttern die Prostitution.
Ausländerinnen und Ausländer eigneten sich perfekt als Prostituierte in der Türkei. Nach Angaben der geretteten Frauen kamen 40 Prozent der Sextouristen aus Russland. Der Arzt erklärte mir, viele der Prostituierten arbeiteten unabhängig, sparten Geld, und wenn die Polizei anfange, sie zu behelligen und zu erpressen, dann ließen sie sich ausweisen. In seiner Unterkunft in Istanbul verbrachten sie im Durchschnitt zwei Wochen (obwohl einige auch bis zu sechs Monaten blieben). Danach kehrten sie in ihre Heimat zurück, zu ihren Familien und Kindern und zu ihrem Leben in Armut und Hunger. Aus dieser Not heraus versuchten viele, später wieder in die Türkei zurückzukehren. An der Grenze zahlten sie umgerechnet 15 US-Dollar für ein Visum, und von da aus reisten sie nach Griechenland oder Italien weiter. Die albanische Mafia bringe sie dann nach England oder Frankreich. Die Reisen seien natürlich nicht umsonst, aber viele der Frauen seien zu allem imstande, nur um Geld nach Hause schicken zu können, so der Arzt.
Mich erstaunte Çokars Gelassenheit und seine Einstellung, und ich war ein wenig verwundert, wie verächtlich er sich über die »Nataschas« äußerte. Der Arzt bemerkte meinen befremdeten Blick und machte eine sonderbare Bemerkung: »Schauen Sie, Lydia, manchmal verstehen Ausländer unsere Bräuche nicht und urteilen, ohne nachzudenken.« Er erhob sich von seinem Stuhl, zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch zum Fenster hinaus. Er stand gut fünf Meter von dem Tisch entfernt, an dem ich saß. »Nehmen wir ein Beispiel«, fuhr er fort. »Heute wird viel darüber
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