Sklaverei
ausländischen Sexsklavinnen verbergen.
Ich setze mich in die Hotelbar. Der Raum ist elegant möbliert und erinnert mich an einen türkischen Palast. Die Einrichtung besteht aus honigfarbenen Sesseln und verschieden bestickten Kissen aus Samt und Baumwolle. Leise Musik schwebt durch den hellen Raum, und nichts lässt darauf schließen, dass hier gleich jemand ein Gespräch über Menschenhandel führen könnte. Wenig später betritt der Polizeibeamte den Raum. Der Junge an der Rezeption begrüßt ihn freundlich, doch er schaut dabei kaum auf.
Der Ernst, mit dem er sich in meine Nähe stellt, schafft eine angespannte Stimmung. Ich bitte ihn, sich doch zu setzen, aber er blickt sich um und sagt mit leiser Stimme: »Wenn jemand erfährt, dass ich Ihnen Informationen gebe, dann verrotte ich im Knast. Wenn sie mich nicht vorher umbringen, weil ich das Vaterland verraten und gegen die Polizeiordnung verstoßen habe. Der Staat meint, dass die Medien unser Feind sind und dass wir ihnen nicht vertrauen dürfen.« Das weiß ich. Das Strafrecht der Türkei hat mehr als tausend Schriftsteller und Journalisten hinter Gitter gebracht, weil sie es gewagt haben, ihre Meinung über den türkischen Staat zu äußern. Das prominenteste Opfer ist der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk.
Die Regierung erklärt zwar, sie hätte die Gesetze auf Druck der Europäischen Union geändert, doch die Gerichte verhängen nach wie vor Haftstrafen gegen Journalisten. Pamuk schrieb über die Ermordung von Millionen Armeniern und Zehntausenden Kurden in der Türkei im Jahr 1915 . Nach Ansicht der Richter beleidigte er mit seinen Aussagen die Ehre des türkischen Volkes, weshalb er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Wir bestellen eine große Kanne schwarzen Tee und lächeln uns höflich an. Plötzlich zeigt er schweigend auf die Kameras an der Decke der Hotelbar. Ich schlage ihm vor, auf mein Zimmer zu gehen. Das Zimmer ist zwar klein, aber es hat einen Sessel und einen Stuhl. Ich biete ihm Ersteren an.
Ganz allmählich entspannt sich Mahmut ein wenig. Er fragt mich, was ich über die Korruption und den Menschenhandel in der Türkei weiß. Während ich erzähle, hört er aufmerksam zu. Plötzlich bittet er mich, seine Jacke ausziehen zu dürfen. Ich nicke und erstarre, als ich eine Pistole im Achselholster des Polizisten sehe. Für einige Sekunden verliere ich den Faden. Mit dem Kugelschreiber in der Hand und einem Notizblock auf den Knien muss ich daran denken, dass ich in der Türkei bin, in einem Hotelzimmer, mit einem bewaffneten Mann, und dass nur er und ich das wissen. Er spürt meine Nervosität und erzählt mir von seiner Frau und von den vielen bewundernswerten Frauen, die er über seine Arbeit bei der IOM kennengelernt hat. Wir holen beide tief Luft und schließen schweigend einen Pakt des Vertrauens, ohne den wir Journalisten nicht überleben könnten.
Die Experten zeigen sich überrascht, dass trotz der Zunahme des weltweiten Frauenhandels die türkische Polizei immer weniger Fälle von Sexsklavinnen aus Russland, Moldawien, Georgien und Kirgisistan aufdeckt. Wie kann es sein, dass die türkische Polizei den Frauenhandel innerhalb von zwei Jahren um mehr als die Hälfte reduziert haben will? Warum gibt es in der Türkei keine Statistiken über den Menschenhandel im Inland?
Mit beiden Zeigefingern und Daumen hebt Mahmut das kleine Glas an den Mund und nimmt einen Schluck Tee. Während er seinen Schuh anstarrt, erklärt er mir, um in die Europäische Union aufgenommen zu werden, unterschreibe die Türkei jeden internationalen Vertrag und akzeptiere Gespräche über die Menschenrechtssituation im Land. Gleichzeitig habe sie die Armee und die Sicherheitskräfte verstärkt. Trotzdem meint er:
Für die Chefs von Polizei und Armee ist die Prostitution ein Geschäft, und sie selbst sind die Kunden. Sie meinen, dass die Amerikaner und Nordeuropäer von ›Sexsklaverei‹ sprechen, wenn sie Prostitution meinen, und sie meinen, dass das ihr Problem ist, nicht unseres. Es ist alles eine Frage der Perspektive, Madame. Zum Beispiel kommen eine Menge Sextouristen aus Norwegen und Schweden in die Türkei. Zu Hause machen sie es nicht, aber hier ist es legal, und keiner kennt sie.
Damit trifft er den Nagel auf den Kopf der weltweiten Diskussion um die Sexsklaverei. In dem Maße, in dem die Prostitution von der Regierung geschützt oder reguliert wird, ist jeder Versuch, zwischen Opfern der Zwangsprostitution und »berufsmäßigen
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