Sklavin des Herzens
Schönheit ihr wahres Gesicht zeigte. Ihre Überheblichkeit wurde nur noch von ihrer Eitelkeit und Herrschsucht übertroffen. Vielleicht hatte sie Grund, so herablassend zu sein, denn laut Adamma war sie als einzige im Harem keine Sklavin, sondern aufgrund eines Vertrages mit einem Wüstenpascha mit Jamil verheiratet worden. Allerdings konnte das nicht als Entschuldigung für solch übertriebene Arroganz oder für ihre verletzenden Bemerkungen gelten. Noura brachte es fertig, jeden mit ihrer Boshaftigkeit zu überschütten, der ihre Aufmerksamkeit erregte.
Die anderen beiden Ehefrauen waren gänzlich anders. Vor allem fiel es schwer, Sheelah nicht zu mögen. Der Kolibri, den die erste Kadine Chantelle geschenkt hatte, war bezeichnend für ihre großzügige und freundliche Natur. Tatsächlich konnte Chantelle keinen einzigen Grund finden, diese Frau abzulehnen – außer dem, daß Jamil sie besonders liebte. Doch dieses Argument war so unlogisch, daß es keine nähere Betrachtung duldete.
Heute lag eine gewisse Vorahnung in der Luft, als Chantelle sich für den sechsten der aufeinanderfolgenden Abende mit Jamil Reshid vorbereitete. Sie schrieb die atmosphärische Spannung ihren Nerven zu, denn sie wußte, daß ihre Zeit ablief. Daß sie sich möglicherweise auf die Gesellschaft des Mannes freute, zog sie nicht in Betracht.
Sie trug ein zartes rosa Musselingewand, das die Farbe ihrer Augen dämpfte und gut zu ihren platinblonden Locken paßte. Adamma ließ diese Haarpracht weich fallen und steckte nur die vordersten Strähnen zurück. Chantelle besaß nun Ohrgehänge, zwei Armbänder, Haarnadeln und einen auffallenden Amethystring, der den Halsschmuck ergänzte – Geschenke, die Jamil ihr immer noch schickte, obwohl sie sie im traditionellen Sinn nicht »verdient« hatte.
»Sie werden ihm den Atem rauben, Lalla«, versicherte Adamma glücklich.
»Glaubst du, daß er dann ersticken wird?« meinte Chantelle hoffnungsvoll.
Adamma kicherte. Sie nahm Chantelles abfällige Bemerkungen über Jamil nicht mehr ernst, vielleicht, weil die Engländerin nur mehr aus Gewohnheit so Negatives von sich gab. Noch vor einer Woche hätte sie sein Ableben möglicherweise als ihre Rettung betrachtet und keine Sekunde getrauert. Jetzt mochte sie noch immer um einen Ausweg beten, aber nicht durch Jamils Tod.
Es war Kadar, der sie jeden Abend zum Herrscher brachte und auf ihre Rückkehr wartete. Er kam ihr wie ihr zweiter Schatten vor, begleitete sie auf Schritt und Tritt, bewachte ihre Wohnungstür und schlief zusammen mit Adamma nachts in dem vorderen Zimmer. Kadar schien ihr absolut ergeben zu sein, doch Chantelle wollte ihn noch nicht auf die Probe stellen. Wenn sie einen Fluchtweg ausgekundschaftet haben würde, würde sie Hilfe brauchen, und sie setzte ihre Hoffnungen dann in Kadar. Aber es war noch zu früh, ihm rückhaltlos zu vertrauen.
Heute abend stand Jamil an den Gartentüren. Er empfing Chantelle immer in dem einen Raum, der das ständig bedrohliche Bett enthielt. Aber es waren auch Berge von Kissen vorhanden, die neben den mondlichtdurchfluteten Fenstern eine gemütliche Couch bildeten. Der Raum war immer gut beleuchtet, aber irgendwie schien das Licht schwächer zu werden, ehe der Abend zu Ende ging, als ob unsichtbare Diener jede Lampe löschen würden. Chantelle hatte davon nichts bemerkt. Sie wurde von Jamil so stark gefesselt, daß eine Armee hätte vorübermarschieren können, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
Jamil trug eine dunkelgoldene Tunika aus schwerem venezianischem Brokat, die an seiner Brust und den Schultern eng anlag. Die typischen weiten Hosen bestanden aus weißer persischer Seide und steckten in hohen Stiefeln europäischer Machart. Eine breite Schärpe aus Goldstoff umschloß seine Taille und bot einem Dolch Halt, der in seiner ungeschmückten Einfachheit tödlich war. Die einzigen Juwelen, die Chantelle an Jamil entdecken konnte, waren seine Ringe, ein großer Bernstein und der Smaragd, den er immer trug. Und wie gewöhnlich hatte er keinen Turban auf. Seit ihrer ersten Begegnung hatte Chantelle ihn nie mehr mit Turban gesehen. Sie wünschte, es wäre anders, denn mit dem glattrasierten Gesicht und dem dichten schwarzen Haar, das in der Mitte gescheitelt war und in Wellen auf die Schultern fiel, sah er von der Taille aufwärts überhaupt nicht orientalisch aus. Unzählige Male hatte Chantelle ihn betrachtet und gedacht, wie normal er in einem englischen Salon wirken würde. Sie hatte ihn sich
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