Sklavin des Herzens
wurde vollends wütend, als sie es öffnete. Auf weißem Samt, der jeden einzelnen Edelstein hervorhob, lag eine zweireihige Amethystkette mit einem eichelgroßen Juwel in der Mitte. Der Schmuck war in jedem Fall ebenso wertvoll wie der mit den Saphiren, den sie noch um den Hals trug, und ebenso prächtig.
Was hatte Jamil ihr gesagt? Daß so eine Kette einer Frau gebührte, die ein Kind gebar. Wieso ehrte er sie mit solch einem Geschenk? Ihre erste Annahme von heute morgen stimmte offenbar. Der Herrscher wollte versuchen, ihre Zuneigung nun zu kaufen.
Sie wollte die Schachtel schon zurückgeben, als der Diener sagte: »Es gibt auch eine Botschaft, Lalla, wenn Sie gestatten. Vom Herrscher soll ich Ihnen sagen, daß Sie Ihre eigenen Juwelen sicher nicht so leicht vergessen werden, aber er hofft … » Der Mann furchte die Stirn, schloß die Augen und biß sich auf die Lippen. Anscheinend war ihm aus dem Gedächtnis entschwunden, wie die Botschaft weiter lautete. Schließlich riß er die Augen auf und nickte. Es war ihm wohl wieder eingefallen. »O ja! Er hofft, daß Sie sie weiterhin vergessen.«
Warum trieb ihr diese Nachricht die Röte in die Wangen? Nur sie allein konnte die Sätze verstehen, und sie fürchtete, daß sie sie nur allzugut verstand. War das Jamils Weg, ihr klarzumachen, daß er ihr Einverständnis bei der letzten intimen Umarmung gespürt hatte? Wie war das möglich gewesen?
Als Chantelle den Schmuck nun zurückgeben wollte, war der Bote schon gegangen.
30
Es dauerte nicht lange, bis im Harem bekannt wurde, daß Chantelle für die Nacht auserwählt war. Das überraschte kaum, denn es gehörte zu den Bräuchen, daß eine Favoritin mehrere Tage hintereinander – und manchmal länger – gerufen wurde. Grund zur Spekulation war nur, warum Chantelle nicht gleich bei ihrem ersten Herrscherbesuch zur Favoritin aufgestiegen war. Nur wenige wußten, daß sie bei diesem Besuch ihre Unschuld nicht verloren hatte. Und diese wenigen hüteten sich auch zu verbreiten, daß Chantelle noch immer ihre Jungfräulichkeit besaß.
Falls die junge Frau erwartet hatte, man würde diesmal kein Aufhebens um sie machen, sah sie sich getäuscht. Sie wurde wieder zum Hammam geleitet, diesmal unter der Aufsicht von Lalla Savetti, einer Serbin mittleren Alters, die Herrin des Rosa Hofes war. Haji Agha und verschiedene seiner Eunuchen warteten dort – er wollte wohl kein Risiko eingehen. Auch Kadar begleitete Chantelle. Sie überlegte, auf wessen Seite er stünde, wenn sie wieder in Panik geraten würde. Doch sie wehrte sich nicht, jedenfalls nicht nach außen hin. Und sie hatte Jamil ihr Wort gegeben. Sie mußte die ausgedehnten Vorbereitungen über sich ergehen lassen.
Unglücklicherweise waren die Bäder diesmal nicht leer. Es schien, als sei der gesamte Harem im Hauptraum versammelt. Lalla Savetti, die das genaue Gegenteil der verhältnismäßig reservierten Safiye darstellte, kam auf die Idee, den anderen Favoritinnen sowie Jamils drei Ehefrauen Chantelle vorzustellen.
Diese Zusammenkunft traf die junge Engländerin völlig unvorbereitet. Sie hatte einige der Favoritinnen schon vorher in den Bädern gesehen, doch sie alle um sich zu haben, wirkte aufschlußreich und peinlich zugleich. Die Frauen waren in jeder Hinsicht so schön, wie man es von der Elite des Harems erwarten konnte. Eine hatte schwarzes, eine andere dunkelbraunes, aber die übrigen sechs rotes Haar in verschiedenen Schattierungen. Es war nicht schwierig, daraus zu schließen, daß Jamil diese Farbe bevorzugte. Ein Blick in den Raum bestätigte, daß mehr als die Hälfte der anwesenden Damen Rotschöpfe waren.
Die acht Favoritinnen wirkten absolut außergewöhnlich, so daß sich Chantelle im Vergleich zweitrangig, ausgewaschen und schäbig, wenn nicht gar kränklich vorkam. Ihr Körper war neben den anderen dürr wie ein Stecken. Die Frauen zeigten keineswegs irgendwelchen Fettansatz, aber dafür atemberaubende Kurven. Chantelle hatte nie in ihrem Leben so viele Juwelen gesehen, wie an diesen acht Damen glitzerten – sogar hier in den Bädern.
Zum Glück war keine Zeit zum Plaudern, denn Chantelles Zunge fühlte sich wie gelähmt an. Dabei schlug der jungen Engländerin keine Feindseligkeit entgegen, nicht einmal Eifersucht, was man doch hätte erwarten können. Tatsächlich waren alle freundlich, sogar Noura, die Schwarzhaarige mit den temperamentvollen dunklen Augen, die zu ihrer prachtvollen Mähne paßten. Nouras Gesicht mochte vielleicht ein
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