Sklavin des Herzens
böse zu sein, nachdem sie das gehört hatte. »Könnten Sie nicht heimgehen – nach England? Warum schließen Sie sich hier ein, wenn Sie nicht müssen? Sie sind seine Mutter. Er würde Sie nicht hier festhalten, wenn Sie gehen möchten, oder?«
»Nein, aber ich könnte nirgendwohin gehen! Das ist nun mein Zuhause, Haar. Jamil, seine Kinder, seine Frauen – sie sind meine Familie. Das ist mein Leben. Nirgendwo sonst hätte ich etwas, das mir wichtig wäre.«
»Sie sind keine alte Frau. Sie könnten einen neuen Ehemann finden.«
Rahine lächelte. »Das könnte ich auch hier, Haar, wenn ich das wollte.«
Chantelle gab es auf. »Gut, Ihnen gefällt es also hier. Nehmen Sie die Tatsache freundlich zur Kenntnis, daß es mir hier nicht gefällt und nie gefallen wird.«
»Ich frage mich, ob Sie in – sagen wir – einer Woche noch genauso denken werden.«
Rahine wartete nicht auf eine Erwiderung, sondern ließ Chantelle mit der Überlegung allein, was diese Bemerkung wohl zu bedeuten hatte. Was konnte in einer Woche geschehen, das bei ihr einen Sinneswandel hervorrufen würde? Vielleicht meinte Rahine, daß Jamils Geduld nicht über sieben Tage hinausgehen würde. Mochte sein! Chantelle ahnte rief in ihrem Inneren, daß er seinen Willen bekommen würde – so oder so. Sie wußte, daß ihre Tage gezählt waren. Dennoch würde sie das bittere Ende hinauszögern, und ihre Gefühle würden sich nicht ändern, wenn dieses Ende kam.
31
Wenn Chantelle es nicht besser gewußt hätte, hätte sie schwören können, daß sie umworben wurde. Während der letzten fünf Tage rief Jamil sie jeden Abend zu sich, und immer spielte sich dasselbe ab. Er war charmant, sogar witzig. Er erzählte Geschichten über seine Kindheit im Harem, die zum Teil so lustig waren, daß Chantelle lachen mußte. Sie gingen im Garten spazieren, unterhielten sich und lasen einander vor.
Nach Chantelles Maßstäben ging alles sehr schicklich vonstatten, deshalb lernte sie, sich in Jamils Gegenwart zu entspannen – wenigstens die meiste Zeit ihrer Besuche. Doch ehe der Abend vorbei war, wagte der Herrscher unvermeidlich einen Vorstoß, und sie widerstand ihm unvermeidlich, obwohl Gott wußte, daß ihr das von Mal zu Mal schwerer fiel. Wenn Jamil zärtlich wurde, gab er sich völlig freimütig und sagte ihr genau, was er mit ihr machen wollte. Sie mußte sich nicht nur gegen seine Hände, sondern auch gegen seine Worte behaupten – und gegen das, was sie bei ihr bewirkten. Doch sie blieb Siegerin trotz der verräterischen Reaktion ihres Körpers.
Erstaunlicherweise zeigte der Mann keinen Ärger mehr, wenn sie seine Annäherung abwies. Sie wünschte beinahe, es sei anders, denn ihr Bild des grausamen Tyrannen bröckelte mehr und mehr ab, vor allem, wenn während des Tages kleine Geschenke eintrafen oder Grußworte, die sie daran erinnern sollten, daß er an sie dachte.
Der letzte Abend war wie die anderen verlaufen, abgesehen davon, daß Jamil trank, als sie kam. Das hatte sie äußerst nervös gemacht, bis sie merkte, daß er nicht betrunken war, sondern nur ein bißchen anders, entspannter und – um die Wahrheit zu sagen – englischer als je zuvor. Auch sein »Liebeswerben« erschien ausgesprochen englisch. Wenn sie nicht in den Harem hätte zurückkehren müssen, der mit Frauen angefüllt war, die Jamil gehörten, hätte sie fast vergessen können, wer er war und wo sie war.
Aber die Frauen, seine vielen Frauen, konnte sie nie vergessen. Er mochte seine Abende mit ihr verbringen, aber sie wußte nicht, mit wem er die Nächte verbrachte. Er rief kein anderes Mädchen zu sich – irgendwelche Feindinnen im Harem hätten das Chantelle sofort zugetragen. Aber es war bekannt, daß er seine Ehefrauen aufsuchte, die er selten zu sich holte. Ihre Appartements konnte er diskret erreichen, so daß Chantelle keine Ahnung hatte, was er nach ihrem Fortgehen tat.
Daß sie sich darüber überhaupt Gedanken machte, störte sie. Es sollte ihr gleichgültig sein, mit wem er schlief, solange sie nicht betroffen war. Doch wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich sein wollte, mußte sie zugeben, daß ihr die Vorstellung nicht gefiel, seine Geduld mit ihr könnte daher rühren, daß er sein Vergnügen anderswo fand.
Diese Idee veranlaßte sie, seinen Ehefrauen weniger Sympathie entgegenzubringen, wenn diese sie besuchten. Sie hatte Noura schon vor ihrer ersten Begegnung nicht gemocht, und bei der zweiten verstärkte sich ihre Meinung, da die schwarzhaarige
Weitere Kostenlose Bücher