Sklavin des Herzens
die Frauen so eine gute Behandlung erfahren hatten? Das war nicht überall so. Wußte er das nicht?
Doch es hatte keinen Sinn, Derek Sinclair über sein Leben vor seiner Ankunft in England zu befragen. Er gab nie Einzelheiten preis – nur Ansichten, und die waren bei weitem zu östlich gefärbt.
Während der letzten Diskussion hatte Derek keine Meinungen verkündet. Er hatte sich nur einfach geweigert, England zu verlassen. Der Grund hierfür war vernünftig. »Ich heirate in wenigen Monaten.«
»Erinnere mich nicht daran. Du nimmst mir das einzige Mädchen weg, das ich je lieben kann, und du streust Salz in meine Wunde, indem du mich zur Hochzeit einlädst«, hatte Marshall mit einem scherzhaften Grinsen bemerkt, das, traurigerweise, überhaupt nicht nach Scherz aussah. »Du könntest die Hochzeit verschieben.«
»Das kann ich nicht. Außerdem hat mich der alte Herr gebeten, in der Nähe zu bleiben. Du weißt, er ist kränklich.«
»Kränklich gilt nicht«, widersprach Marshall.
»Letzte Woche lag er im Bett.«
»Zufällig weiß ich, daß er nur eine schlimme Erkältung hatte.«
»Du kennst sein Alter, Marsh«, gab Derek zu bedenken. »Er möchte Kinder noch erleben, ehe er das Zeitliche segnet.«
Dagegen konnte Marshall natürlich nichts einwenden. Der Marquis näherte sich den Siebzigern, und seine Gesundheit war in den letzten Jahren etwas angegriffen. Der Gedanke an Kinder, an Carolines und Dereks Kinder, bedrückte Marshall genügend, um das Thema »Nachwuchs« zu verdrängen. Doch wegen der geraubten Engländerin war so viel Druck auf ihn ausgeübt worden, daß er sich gezwungen sah, Derek noch einmal zu fragen. Außerdem hoffte er in der Tiefe seines Herzens noch, die bevorstehende Hochzeit würde verschoben – was immer ihm das auch Gutes bringen würde …
»Du hast nicht erwähnt, welchen Fortschritt der englische Konsul gemacht hat.«
Marshall brummte. »Keinen. Seit kurzem kann er nicht einmal eine Audienz beim Herrscher erlangen. Das erinnert mich an etwas. Miß Woods ist nicht mehr der einzige Grund, warum wir möchten, daß du nach Barka reist – offiziell bleibt sie natürlich der unauffindbar ist. Natürlich ist Sir John nicht in alles eingeweiht, was in Barka vor sich geht. Er besitzt seine Spione, aber keinen im Palast. Jamils Söhne sind noch nicht alt genug, um zu herrschen. Falls Jamil jetzt stirbt, würde Selim der neue Herrscher sein, und das wollen wir um jeden Preis verhindern.«
»Warum?«
»Weil man ihm – im Gegensatz zu Jamil – nicht trauen kann. Wir sind über den Burschen informiert, das darfst du mir glauben. In nichts gleicht er Jamil. Nein, wir brauchen den jetzigen Herrscher – nicht nur, weil er England wohl gesinnt und den Christen gegenüber tolerant ist und den Handel mit uns eröffnet hat, sondern weil wir die Alternative zu ihm für unakzeptabel halten. Sollte Selim an die Macht kommen, könnte das zum Krieg führen.«
»Ich denke, es gibt einen Grund, warum du mir das alles erzählst.«
Marshall lächelte endlich. »Wenn du in Betracht ziehen könntest, dich um den Verbleib von Miß Woods zu kümmern, würden wir es dir nicht übelnehmen, wenn du gleichzeitig nach dem Urheber der Mordanschläge Ausschau hieltest und das Problem während deines Aufenthaltes in Barka aus der Welt schaffen würdest.«
Derek erstickte fast vor Lachen. »Mann, du verlangst nicht gerade viel, oder?«
»England wäre dir dankbar – natürlich inoffiziell.«
»Natürlich.« Derek kämpfte seine Belustigung nieder. »In Ordnung, Marsh, es ist dir gelungen, mich zu überzeugen.«
Marshall richtete sich auf. Seine Gesichtszüge drückten Ungläubigkeit aus. »Du scherzt wohl! Willst du wirklich die Reise machen, deine Hochzeit verschieben und das Wort, das du deinem Großvater gegeben hast, brechen?«
»Nun, wenn du mich an all das erinnerst …«
»Nein, nein, ich denke nicht daran.«
»Dann reise ich morgen ab.«
An diesem Abend zog sich der Graf sehr zufrieden zurück. Er hatte Marshall alle Informationen entlockt, ohne die eigenen preiszugeben, er war mit seinem Großvater einig, was die Reise betraf, und er hatte sich von Caroline verabschiedet, ohne Tränen oder Vorwürfe erleben zu müssen. Nun konnte er ohne Bedauern auf große Fahrt gehen. Natürlich würde er England und alles, was ihm dort lieb war, vermissen, aber allzulange blieb er ja nicht weg. Nach seiner Rückkehr würde die Hochzeit stattfinden, er würde eine Familie gründen und somit den
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