Sklavin des Herzens
helfen: das heißt, mich von diesem Schiff wegzubringen, ehe es zu spät ist.«
Er schüttelte langsam den Kopf, und sein Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an. »Das kann ich nicht. Aber es gibt vieles, das ich Sie lehren kann – die Gebräuche des Orients, die Sprache. Ich kann Sie auf Ihr neues Leben vorbereiten, wenn Sie es mir erlauben. Und ist es nicht besser, vorbereitet zu sein, sich mit Verständnis zu wappnen, als blindlings in dieses neue Dasein hineinzustolpern?«
Lange Sekunden sah Chantelle ihn nur an. Dann griff sie nach dem Brot auf dem Tablett, und ihr Nicken war kaum wahrnehmbar. Doch es war ein Nicken. Mochte sie auch starrköpfig sein -eine Närrin war sie nicht.
9
Die Tage vergingen Chantelle mit erschreckender Geschwindigkeit. Hakeem wurde ihr ständiger Begleiter, und fast jeder wache Augenblick war mit Lernen angefüllt: die Sitten der Moslems, Barkas Geschichte, die Rolle der Frauen im Nahen Osten, aber vor allem Arabisch, die Sprache, die in Barka üblich und mit der Hakeem groß geworden war. Er lehrte Chantelle aber auch das wenige Türkisch, das er konnte, da es in den höheren Ämtern bevorzugt wurde. Die junge Frau nahm alles in sich auf, was sie zu fassen vermochte. Nachdem sie zu der Überzeugung gekommen war, daß Hakeem recht hatte – daß Wissen Wappnung bedeutete -, wollte sie nicht nur lernen, sondern sie bestand sogar darauf.
Doch es war nicht leicht, sich alles zu merken. Eine neue Sprache zu lernen, fiel ihr besonders schwer, da die Hälfte ihres Gehirns vor Angst blockiert war. Und sie konnte der Furcht nicht entrinnen.
Sie gab sich Mühe. Sie suchte und fand etwas Positives an ihrem Unglück. Sie hatte für eine Weile spurlos verschwinden müssen, und mit dem Verlassen von England war das gewiß gewährleistet. Es gelang ihr sogar, ein wenig Hoffnung zu nähren, daß nicht alles verloren sei. Falls sie in einen ziemlich großen Harem eintreten konnte, lag es nahe, daß sie vielleicht niemals gerufen werden würde, um die Nacht mit dem Meister zu verbringen. Hakeem hatte ihr erzählt, daß in einem Haushalt, in dem der Mann mehr als zwanzig Frauen zur Verfügung hatte, nicht jede seine Aufmerksamkeit erlangte. Natürlich betonte Hakeem, bei ihr bestünde keine Gefahr, daß sie nicht bemerkt werden würde. Dabei legte sie doch keinen Wert darauf, ins Blickfeld eines Gebieters zu rücken. Bald würde sie irgendwie entkommen, den Weg zum englischen Konsul finden, und dieser würde sie aus Barka und nach Hause schmuggeln.
An den Gedanken, schließlich nach England zurückzukehren, klammerte sie sich. Es war alles, was sie hatte. Doch die Angst blieb, denn Chantelle mußte die Zeremonie ihres Verkaufs durchstehen, und darüber mochte ihr Hakeem nicht viel sagen. Bis das vorbei war, waren Zweifel angebracht, denn es bestand immerhin die Möglichkeit, daß sie von einem Mann gekauft wurde, der keine Frauen besaß – keine Schar von weiblichen Wesen, in der sie untertauchen konnte -, von einem Mann, der sie vergewaltigte, wenn auch eventuell heiratete und Kinder von ihr bekam, was Gott verhüten mochte! Wo würde sie dann sein? Verloren -für immer. Oh, wie entsetzlich, wie grauenvoll!
Und Hakeem, der sich manchmal wie ein Idiot benahm, glaubte sie aufzuheitern, wenn er ihr erzählte, daß der Mann, der sie kaufen würde, sie bestimmt zur Frau haben wollte. »Er wird extrem reich sein, andernfalls könnte er Sie nicht bezahlen. Und Sie werden seine Lieblingsfrau, seine Ikbal, sein. Sie werden ihm prächtige Söhne gebären, und er wird Sie ehren, indem er Sie zu seiner ersten Frau macht.«
Die erste Frau. Jedesmal, wenn sie das hörte, duckte sie sich wie unter einem Peitschenhieb. Es war schlimm genug, daß in dem Land, in das sie gebracht wurde, ein Mann vier Frauen haben durfte, wenn er das wollte – noch schlimmer, daß er so viele Konkubinen sein eigen nennen konnte, wie er sich finanziell zu leisten vermochte. Möglicherweise also Hunderte von Frauen für einen Mann. Ihrem europäischen Geist war so etwas unbegreiflich. Sie verstand nicht, wie die Frauen das ertrugen. Doch dann mußte sie sich vor Augen halten, daß sie keine Wahl hatten, denn Konkubinen waren Sklavinnen, im Krieg, bei Überfällen oder durch Piraterie gefangengenommen. Ihr Schicksal bestand darin, in der Sklaverei zu versinken.
»War Ihr Leben soviel besser?« fragte Hakeem eines Tages, als Chantelle sich besonders gegen das Zukunftsbild sträubte, das er ihr ausmalte. »Braz behauptet, er
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