Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
die nicht so bald heilen würde. In Kadiköy verließen sie die Fähre wortlos, ein persönliches Schweigen zwischen sich, welches das Geklirr und Gerassel beim Ausstieg förmlich erstickte. Dieselbe Blase der Stille verharrte bei ihnen, als sie das halbe Dutzend hoher Blocks vom Wasser aus hinaufstiegen und dem Adressfinder-Holo im Keytab folgten, bis sie die gewundene Gasse von Moda Caddesi und den niedrigen Wohnblock erreichten, den COLIN dort besaß. Es war eine reine Wohngegend, die Leute waren schon lange zu Bett gegangen, und sie begegneten unterwegs niemandem.
    In allem lag ein seltsames, verschwiegenes Gefühl von Erleichterung und Zuflucht. Still, still, hinauf und hinweg von den Lichtern des Fährenterminals, vorbei an den Fronten von Marktständen, vor denen die Rollos herabgelassen waren, sowie den Fenstern mit den zugezogenen Vorhängen einer schlafenden Welt, die glimmende Karte in Ertekins hohler Hand und der blass-bläuliche Schimmer, den sie ihr ins Gesicht warf. Bei ihrer Ankunft öffnete sie die Tür zur Straße mit übertriebener Sorgfalt, und sie nahmen die Treppe, statt den Mechanismus des Aufzugs in Gang zu setzen. In der Wohnung – in der kühlen Luft lag ein leicht schaler Geruch, weil so lange niemand hier gewesen war – landeten sie in der Küche, nach wie vor wortlos, und entdeckten eine offene, jedoch kaum angerührte Flasche Altinbasraki auf der Arbeitsfläche.
    »Sie schenken mir besser was davon ein«, wies sie ihn grimmig an.
    Er suchte nach den passenden langen und schlanken Gläsern, fand sie in einem Schränkchen, während Ertekin einen Krug mit Wasser aus dem Hahn füllte. Er goss jedes Glas halb mit dem öligen, durchscheinenden, schweren Raki voll und sah zu, wie sie es aus dem Krug auffüllte. Milchige, nach unten taumelnde Lawinen weißer Wolken, wo das Wasser auftraf. Sie nahm ein Glas und trank es leer, ohne zwischendrin Luft zu holen. Setzte es nieder und sah ihn erwartungsvoll an. Wieder schenkte er ein und sah ihr beim Auffüllen zu. Diesmal nippte sie nur daran und trug es durch die verlassene Kühle des Wohnraums. Er nahm Flasche und Krug und sein eigenes Glas und folgte ihr.
    Sie waren im obersten Stockwerk; breite Panoramafenster öffneten sich auf die Dächer von Kadiköy mehrere Stockwerke unter ihnen. Nachdem sie die Beleuchtung im Wohnzimmer abgedimmt hatten, hatten sie einen klaren Blick bis hinüber zum Marmarameer und die von Minaretten gespickte Silhouette der Blauen Moschee auf der europäischen Seite. Während er sie anstarrte, überkam Carl das jähe, halluzinatorische Gefühl, etwas zurückzulassen, als würden die beiden Küsten irgendwie auseinandertreiben. Sie saßen in weichen Kunstledersesseln, dem Fenster gegenüber, nicht einander, und tranken. Draußen auf dem Marmarameer lag eine Reihe großer Schiffe vor Anker, die auf den Einlass in den Bosporus warteten. Ihre Ankerlichter blinkten und gingen hin und her.
    Sie hatten gut die Hälfte der Flasche niedergemacht, als Sevgi wieder das Wort ergriff.
     
    »Es war nicht geplant, verflucht! Das kann ich Ihnen wohl sagen.«
    »Sie haben gewusst, was er war?«
    »Inzwischen ja.« Sie seufzte, aber der Seufzer verfing sich irgendwo in ihrer Kehle. In dem Geräusch, das er machte, lag keine echte Erleichterung. »Sie glauben, wir hätten Schluss gemacht, nicht? Im Wissen um die Risiken. Im Nachhinein weiß ich immer noch nicht genau, warum wir es nicht getan haben. Vermutlich… vermutlich haben wir beide allmählich geglaubt, unverwundbar zu sein. Bei Ethan war das von Anbeginn so, diese ganze Dreizehner-Kiste. Er hat sich immer so verhalten, als prallten Kugeln von ihm ab. Man konnte es von der anderen Seite des Raums in ihm erkennen.«
    Ihr Tonfall änderte sich. Aufwallender, obskurer Ärger rann durch ihre Stimme.
    »Und sobald man einmal schwanger ist, na ja, dann ist da die Biologie ebenso in einem drin, sie tickt in einem und verebbt allmählich im Innern, sie sagt einem, das ist gut, das ist richtig, so soll es sein. Man macht sich nicht mal Sorgen darum, wie man’s hinkriegt, man stellt sich nur einfach vor, man kriegt’s hin. Man hört auf, sich für jene Impfung zu verfluchen, die man vergessen hat, oder den Knaben nicht gezwungen zu haben, sich vor dem Bumsen einzusprühen, schwach und genügend dumm gewesen zu sein, sich von seiner eigenen Biologie übermannen zu lassen, weil eben jene verfluchte Biologie einem erzählt, dass jetzt alles gut werden wird, und deine Kritikfähigkeit

Weitere Kostenlose Bücher