Skorpion
Carl sah, wie sie dort auf dem Bett die Fäuste ballte. »Aber Amy wusste es. Sie ist auf der Straße auf mich zugegangen, hat mir zum Baby gratuliert, etwas davon gesagt, wie großartig es sei, dass Ethan wieder Kontakt zu seiner Familie aufnehmen wolle. Ich habe es Ethan erzählt, aber«, sie wälzte den Kopf auf dem Kissen hin und her, »wie gesagt, wir waren bei allem so verdammt selbstzufrieden.«
»Gibt es irgendeinen echten Beweis, dass Westhoff der UNGLA den Tipp gegeben hat?«
»Ausreichend für eine Anklage?« Er glaubte, sie in dem Dämmerlicht lächeln zu sehen. »Nein. Aber du erinnerst dich daran, dass ich dir erzählt habe, jemand in der Abteilung habe Ethan verraten und dass sie wegen ihm gekommen wären?«
»Ja, du hast gesagt, eine Nummer in der Innenstadt.«
»Genau.« Sie lächelte freudlos. »Datenkriminalität liegt in der Innenstadt. Ich habe mit einem Sergeant von denen gesprochen, der sagte, Amy Westhoff habe sich an jenem Tag sehr seltsam verhalten. War wegen irgendwas durcheinander, ist die ganze Zeit aus dem Büro verschwunden und wieder zurückgekehrt. Der Anruf ging von einer anderen Etage des Gebäudes aus, von einem leeren Büro in der fünften, aber sie hätte leicht dorthin gelangen können.«
»Könnte sein. Du hast gesagt, er hatte viele Freunde bei der Datenkriminalität.«
»Niemand wusste vom SWAT-Aufmarsch. Niemand außer dem Betreffenden, der ihnen ursprünglich den Tipp gegeben hat.«
»Hatte Ethan irgendwelche Freunde in der Kommandokette der SWAT? Oder vielleicht im Rathaus?«
»Natürlich, und sie haben bis zu dem Morgen gewartet, an dem sie runter sollten, bevor sie anriefen. Und sie gingen dazu den ganzen Weg quer durch die Stadt zu einem Vorortrevier des NYPD und einem Büro im fünften Stockwerk, von dem sie zufällig wussten, dass es nicht belegt war. Komm schon, Carl. Lass mir mal ’ne verdammte Atempause!«
»Und sonst wollte niemand diese Sache verfolgen?«
Ein weiteres schwaches Lächeln. »Niemand hatte Lust. Zunächst mal ist es kein Verbrechen, einen Dreizehner bei den Behörden zu melden. Man sieht nach wie vor Werbesendungen, die gute Bürger genau dazu ermuntern, immer wenn jemand aus Cimarron oder Tanana entkommen ist. Und dann ist da die Tatsache, dass Ethan Polizist war, und allem Anschein nach sieht es so aus, als habe ihn ein anderer Polizist verpfiffen. Das sind so die Dinge, von denen die meisten Leute im Department lieber vergessen, dass sie jemals geschehen sind.«
Er nickte. Glaubte, dass es draußen allmählich hell würde.
»Also hast du geplant, sie zu ermorden. Sie ermorden zu lassen. Was hat dich daran gehindert?«
»Ich weiß es nicht.« Sie schloss die Augen. Die Stimme war klein und erschöpft von der Anstrengung, die sie unternommen hatte. »Am Ende konnte ich mich nicht dazu überwinden, die Sache durchzuziehen, weißt du. Ich habe Menschen im Dienst getötet, musste es, um selbst am Leben zu bleiben. Aber dies ist was anderes. Es ist kalt. Man muss dazu so verdammt kalt sein.«
Die Nacht hinter den Fenster begann definitiv zu verblassen. Carl sah Sevgis Gesicht jetzt wesentlich deutlicher, erkannte die Trostlosigkeit darauf. Er beugte sich zu ihr hinüber und küsste sie sanft auf die Stirn.
»Versuch jetzt, etwas zu schlafen«, sagte er.
»Ich konnte es nicht«, murmelte sie wie im Versuch, sich selbst vor einem Richter zu erklären, oder vielleicht vor Ethan Conrad. »Ich konnte es einfach nicht.«
Rovayo, die frei hatte, tauchte mit einem Strauß Blumen auf. Sevgi zeigte kaum ein Mindestmaß an Höflichkeit. Die Witze, die sie heiser flüsternd über Gelegenheitsbumserei riss, waren nicht komisch, und niemand lachte. Rovayo ertrug sie tapfer, verbrachte die vorher angekündigte freie Zeit bei ihr und versprach unbeholfen, wiederzukommen. Der Ausdruck in Sevgis Augen ließ darauf schließen, dass es ihr so oder so gleichgültig war. Später, mit Carl im Flur draußen, verzog die Rimpolizisten das Gesicht.
»Keine gute Idee, hm?«
»Netter Gedanke.« Er suchte nach einem anderen Thema, wollte sich vor der herannahenden Wahrheit hinter der Tür in ihrem Rücken abschirmen. »Irgendwas Neues aus der Verbrecherszene?«
Rovayo schüttelte den Kopf. »Nichts für dich, die toten Knaben oder das Dutzend unbedeutender zwielichtiger Typen aus der Bay. Dieser Onbekend muss ganz schön eingeschmiert gewesen sein.«
»Ja, allerdings.« Carl holte die Erinnerungen wieder hervor und war selbst überrascht von der wilden
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