Skorpion
Haag.«
»Monster, hu!«, sagte Carl ruhig. »Woher weißt du das alles, Rovayo?«
»Ich habe viel Geschichte gelesen«, erwiderte die schwarze Frau. »In meinen Augen hast du, wenn du nichts über die Vergangenheit weißt, auch keine Zukunft.«
Sie saugen die Lunge ab, versuchen, ihre Atmung wieder in Gang zu setzen. Sie liegt einfach nur da, während sie es tun, vorher, während und anschließend, auf dem Bett in einer Lache aus ihrer eigenen mangelnden Kraft. Der ganze Prozess fühlt sich an wie die Tritte des Kindes während einer Schwangerschaft, aber weiter oben und auch viel häufiger, wie in winziger, hysterischer Wut.
Die Erinnerung bringt Tränen, aber sie tröpfeln ihr so langsam aus den Augen, dass ihr das eigentliche Gefühl schon abhanden gekommen ist, bevor sie aufhören. Sie hat nicht viel Flüssigkeit zu verschwenden.
Ihr Mund ist wie Pergament. Ihre Haut ist trocken wie Papier.
Ihre Hände und Füße fühlen sich an wie geschwollen und werden zunehmend taub.
Wenn die Wirkung der Endorphine, die sie ihr geben, nachlässt, kann sie den Durchgang ihres Urins anhand des winzigen kratzenden Schmerzes nachvollziehen, den er auf seinem Weg zum Katheter hervorruft.
Ihr Magen schmerzt wegen der Leere. Ihr ist übel bis in die tiefsten Tiefen ihrer Magengrube.
Wenn die Wirkung der Endorphine wieder einsetzt, fühlt es sich an, als kehre sie in den Garten zurück oder nehme die nächtliche Fähre über den Bosporus zur asiatischen Seite. Schwarzes Wasser und fröhliche Lichter der Stadt. Einmal halluziniert sie sehr klar und deutlich: Sie kommt ins Dock bei Kadiköy und sieht Marsalis, der dort auf sie wartet. Dunkel und ruhig unter den LCLS-Lampen von oben.
Er streckt die Hand aus.
Aus der Dosis aufzutauchen, ist Schmerz, der sie wie an rostigen Drähten zurückzieht, und eine jähe, Übelkeit erregende Furcht, als sie sich daran erinnert, wo sie ist. Entwässert daliegen und langsames Hinein- und Hinauströpfeln in und aus Beuteln. Muffige Laken und die hageren Wachen, die Maschinen, rings um sie herum. Und durch alles hindurch eine peinigende, alles überwölbende, frustrierende Wut über den Leib, mit dem sie nach wie vor verdrahtet ist, an den sie festgebunden und in den sie eingebettet ist.
Er versuchte zu arbeiten.
Sevgi war sehr häufig draußen auf den Wellen des Endorphins, trieb dort in etwas, das sich einem Frieden zumindest annäherte. Er entdeckte, dass er während dieser Perioden hinausgehen und sie verlassen konnte, und er unterhielt sich leise mit Norton, während sie in Warteräumen saßen oder an die Wände der nächtlich stillen Korridore des Krankenhauses gelehnt dastanden.
»Mir ist heute Nachmittag etwas eingefallen«, sagte er zu dem COLIN-Angestellten. »Während ich dort saß, ist mir allerhand Mist durch den Kopf gegangen. Als Sevgi und ich zu dem Gespräch mit Manco Bambaren hinaus sind, hat er diese Jacke wiedererkannt.«
Norton sah sich den Arm genau an, den Carl ihm hinstreckte, die orangefarbenen Winkel, die den Ärmel entlang aufblitzten.
»Ja? Übliche Anstaltskleidung in der Republik. Vermutlich würde jeder Kriminelle in der westlichen Hemisphäre wissen, wie die aussieht.«
»Nicht ganz üblich.« Carl verrenkte sich, um Norton die Aufschrift auf dem Rücken zu zeigen. Der COLIN-Angestellte zuckte mit den Achseln.
»Sigma. Ja. Wissen Sie, wie viele Anstaltsverträge diese Burschen in Jesusland abgeschlossen haben? Sie müssen der zweit- oder drittgrößte Betrieb sein, der in der Einkerkerungsindustrie mitmischt. Heutzutage bieten sie sogar hier an der Küste mit.«
»Ja, aber Manco hat mir gesagt, er habe einen Cousin, der speziell im Staatsgefängnis von Süd-Florida gesessen hat. Vielleicht können wir den Datennebel um Isabela Gayoso nicht so leicht lichten, aber wir sollten in der Lage sein, Anstaltsaufzeichnungen zu verfolgen und diesen Knaben auszugraben. Womöglich hat er uns etwas zu sagen, was uns von Nutzen sein könnte.«
Norton nickte und rieb sich die Augen. »Na gut, wir können nachsehen. Gott weiß, ich könnte gerade jetzt eine Abwechslung gut brauchen. Haben Sie einen Namen?«
»Nein. Vielleicht Bambaren, aber ich möchte es bezweifeln. So, wie Manco von ihm gesprochen hat, war das niemand aus der unmittelbaren Nachbarschaft.«
»Und wir wissen nicht, welche Zeit?«
»Nein, aber ich vermute, vor kurzem. Sigma ist nicht länger als fünf oder maximal sechs Jahre in Besitz dieses Vertrags. Sigmajacke, Sie müssen etwa in
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