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Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)

Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)

Titel: Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krämer
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lüften und alle Möbel feucht abwischen.
    Sie verbrachte fast den ganzen Tag in dem kleinen Zimmer. Es war später Abend, als sie sich dem Bücherregal zuwandte.
    Zärtlich strichen ihre Finger über die Buchrücken. Es war ein großes Regal. Ihr kleines Mädchen war eine begeisterte Leserin. Pferdebücher, Mädchenbücher, Reiseberichte, eine komplette Karl-May-Sammlung. Auf den Oberseiten der Bücher hatte sich eine dunkle Schicht aus Staub und Spinnweben gebildet.
    Die Frau nahm die englische Originalausgabe von „Der Herr der Ringe“ in die Hand und blies den Staub weg. Versonnen blätterte sie in dem illustrierten Buch. Ein Geschenk ihres Schwiegervaters. Der hatte es selbst von seinem verstorbenen Vater, den er immer nur den „Major“ nannte, geerbt.
    Ein dumpfes Geräusch ließ sie zusammenzucken. Tolkien hatte eine große Lücke hinterlassen und drei benachbarte Bücher waren umgefallen. Seufzend legte die Frau den Wälzer auf den Schreibtisch und machte sich daran, das Regal auszuräumen. Irgendwo musste sie ja wohl anfangen. Wer weiß, was für fieses Krabbelzeug sich hinter der Literatur verborgen hielt. Stapel um Stapel schichtete sie auf Tisch und Boden. Zwischendurch hatte sie einen Eimer mit warmem Wasser gefüllt und einen Schuss Spülmittel hinein gerührt. Mit einem Schwammtuch rieb sie die einzelnen Etagen aus. Für die oberen brauchte sie den kleinen dreistufigen Tritt. Das Regal reichte bis fast an die Decke. Als sie mit einem Packen Bücher in den Händen mit dem linken Fuß nach der nächst niedrigeren Stufe angelte, verlor sie beinahe das Gleichgewicht. Polternd entfielen ihr die Bücher und wild mit den Armen rudernd schaffte sie es gerade noch, auf der Leiter zu bleiben. Die Bücher lagen verstreut am Boden.
    Seufzend machte sich die Frau daran, sie einzusammeln. Dann stutzte sie: Zwischen Bildbänden, Enid Blyton-Romanen und der Bullerbü-Trilogie lugte ein längst überholter Duden hervor. Vielmehr der Einband davon. Keine einzige Seite war mehr darin. Daneben lag ein babyblaues Büchlein mit Kunststoffeinband und einem Schloss. Wie hypnotisiert starrte die Frau darauf. Ein Tagebuch! Raffiniert verborgen in einer Duden-Attrappe! Mit zitternden Fingern griff sie nach dem kleinen Buch. Sie drückte auf den winzigen Knopf, um das Schloss zu öffnen. Abgeschlossen. Wozu ist so ein Ding auch da? Natürlich hätte die Frau die lächerliche Sperre einfach abreißen können. Doch es wiederstrebte ihr zutiefst, Gewalt anzuwenden. War das doch das Tagebuch ihrer Tochter.
    Schließlich gelang es ihr, mit einer Pinzette und einem winzigen Schraubendreher den primitiven Mechanismus zu knacken.
    Wer das liest ist ein Schnüffler und soll Pickel und Durchfall haben, sein Leben lang!
stand in energischen Buchstaben auf der ersten Seite. Ein ersticktes Lachen erstarb in einem Strom von Tränen. Sie hatte einen Schatz gefunden! Sie hielt die geheimsten Gedanken ihrer Tochter in den Händen. Ihr kleines Mädchen hatte das geschrieben.
    Ihre Knie schmerzten, ächzend erhob sie sich, stützte sich auf Karl-May Band 1-12 ab und setzte sich aufs Bett. Sie brauchte lange, bis sie sich auf den Text konzentrieren konnte. Endlich hörten die Worte auf zu tanzen, fügten sich wieder zu Sätzen:
    Lieber Papa
    Das schreib ich für dich. Das ist jetzt unser Buch …
    Eine Träne tropfte auf das dünne Papier und verwischte die Buchstaben. Längst war die Dämmerung angebrochen. Blaues Zwielicht ließ die Zeilen verschwimmen und verwischte die Buchstaben.
    Die Mama liebt ihn …
    Das Buch glitt ihr aus den klammen Fingern. Auf den Knien tastete sie danach, krallte ihre Hände in das knisternde Papier und brach schluchzend darüber zusammen. Minutenlang kauerte sie so auf dem Boden, ihre Tränen durchnässten den bunten Flickenteppich. Dann setzte sie sich auf und presste das Buch an ihre Brust. Es tat so weh.
    Der aufgehende Mond schien in das Zimmer. Immer noch das Buch an sich gepresst, erhob sie sich erstaunlich kraftvoll. Sie verließ das Zimmer, ohne sich auch nur einmal umzudrehen, und schritt wie ein Roboter die Treppe hinunter.
    Der Mond verzauberte das Land. Die Fichten dufteten, die Luft war wie klares Quellwasser. Doch vor den Augen der einsamen Frau lag nur tiefe, kühle Nacht. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen. Die Arme immer noch vor der Brust verschränkt, folgte sie der schmalen Straße. Die Riemchen ihrer exklusiven Schuhe scheuerten ihr die Haut von den Fersen. Die Zehen waren

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