Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)
längst taub, die Knie schmerzten. Nichts davon spürte sie. Das Bohren und Brennen in ihrem Herzen beherrschte ihr ganzes Bewusstsein. Sie brauchte fast eine halbe Stunde, bis sie die Stelle erreichte. Sie streifte die Schuhe von ihren blutenden Füßen, kletterte auf einen der weißen Steinquader und ließ den Sog des Abgrunds auf sich einwirken. Eine winzige Bewegung, ein leichtes Schwanken und sie wäre bei ihnen.
Sie … die Schuldige. Die blind und taub das jahrelange Martyrium ihrer Tochter übersehen hatte. Die IHN geliebt hatte. Den Teufel selbst. Den Mann, der ihr Kind in den Tod getrieben hatte. Ihr kleines Mädchen war in dem Bewusstsein gesprungen, dass ihre eigene Mutter sie verraten hatte.
Das war das Schlimmste. Die Frau wusste, sie war verflucht. Nicht eher würde sie Ruhe finden, bis das alles bezahlt war. Bis ER bezahlt hatte. Dann war sie bereit, auch ihren Preis zu entrichten. Erst dann würde sie es wagen, ihrer Tochter gegenüberzutreten.
Es war eine andere Frau, die Stunden später ins Schloss zurückkehrte. Barfuß. Die Schuhe hatte sie irgendwann abgestreift und liegen gelassen. So wie ihr ganzes bisheriges Leben. Frierend, aber erfüllt von einem verzehrenden Feuer, schloss sie die Tür hinter sich. Sie war erschöpft. Doch niemals wieder würde sie ruhig schlafen. Nicht eher wollte sie die Augen schließen, bis die Rechnung beglichen war. Bis auf den letzten Cent. Den letzten Blutstropfen.
Sie ging ins Bad und streifte ihre feuchte Kleidung von ihrem zitternden Körper. Es war angenehm warm. Das Beben und die Gänsehaut hatten nichts mit dem Aufenthalt in der dunklen Kühle da draußen zu tun. Es kam aus ihrem Herzen. Es war eine animalische Wut. Vernichtende Energie, rot glühendes Magma ließ sie vibrieren, bis sie glaubte, zerspringen zu müssen.
Sie schaute in den riesigen Wandspiegel. Sah ihre strähnigen, zerzausten Haare, ihr verschmiertes Make-up und ihre schmutzigen, blutenden Füße. Sie legte ihre Hände auf die schmalen Schultern des Mädchens vor ihr, spürte die Wärme, roch den Duft ihrer Haare und versank in den bittenden runden Kinderaugen. Die Vision löste sich auf und sie lauschte dem verwehenden Klang einer Kinderstimme: „Mama?“
Sie hatte sie verraten. Sie war nicht da gewesen, als ihr kleines Mädchen sie gebraucht hatte. Sie hatte sie alleine gelassen. Alleine mit dem Teufel. Der das arglose Kind nach seinen Vorstellungen geformt hatte. Der liebe gute Tom. So hatte sie ihn immer genannt. Nach dem tollpatschigen Kater in der Zeichentrickserie. Sie war die Maus. Eine freche, schlaue kleine Maus, die immer gewann.
Doch diesmal hatte sie nicht gewonnen. Der Frau wurde wieder übel, als sie an die treuherzigen Passagen mit der Prinzessin dachte, die sie in dem kleinen blauen Tagebuch gelesen hatte.
Infam! Infam, niederträchtig und gemein hatte das Schwein die Fantasie und die Träume eines Kindes benutzt, um seine perversen Neigungen auszukosten.
Er hat gesagt, dass ich einen Prinzessinnennabel habe und ganz früher wäre ich bestimmt eine ganz echte Prinzessin geworden, so richtig mit Krone und Schloss und so
.
Zorn und Verzweiflung ließen heiße, gallige Übelkeit in ihr aufsteigen. Sie hatte versagt. Hatte weder Zeichen noch stumme Hilferufe wahrgenommen, als ihre Tochter längst begriffen hatte, dass der liebe gute Tom niemals eine Prinzessin aus ihr machen würde.
Papa, hörst du mich? Bitte, lieber Gott, lass meinen Papa wieder zurückkommen. Ich wär ’ so gerne bei ihm. Glaubst du, das geht? Wenn nicht, dann wäre ich lieber auch tot. Dann wäre ich bei Papa. Ich hab dich lieb, Papa. Deine kleine Cap
.
Sie hatte dieses Ungeheuer geliebt. Hatte seine Hände auf ihrem Körper gespürt. Hände, die ihr eigenes Kind geschändet hatten. Sie hatte ihn geküsst, ihn umklammert, ihn in sich aufgenommen und sich in ihm verloren. Er war ein fantastischer Liebhaber. Er wusste, was ihr gefiel, wusste, wie er sie zu immer weiteren Höhepunkten treiben konnte. Er war ein animalischer Mann. Sie liebte es, wenn er sie brutal auf das Bett warf, ihre Arme festhielt und sie auf eine Weise nahm, die ihr den Atem raubte.
Sie fühlte sich schmutzig. Doch es war nicht der Dreck der nassen Straße an ihren Füßen. Es war der Schmutz auf ihrer Seele, in ihrem Herzen, der Morast längst vergangener zügelloser Nächte mit einem Monster, das nicht Halt machte vor dem unschuldigen kleinen Körper eines wehrlosen Kindes. Ein Tier, das zerstörte, zerfetzte, vernichtete,
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