Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)
Urlaub auf den Malediven. Die Fahrtkosten und der „Verpflegungszuschlag“ waren für die Chauffeurdienste. Der Rest für sein Schweigen. Ein einziger Blick auf die Schlagzeilen der Tageszeitungen, die er weisungsgemäß besorgt hatte, genügte, um ihm zu zeigen, wen er da durch die Kälte fuhr.
Um acht Minuten nach sieben öffnete sich die unscheinbare Eisentür und ein schlanker Mann in einem dunklen Anzug trat unsicher um sich blickend heraus. Die rechte Hand umklammerte den Griff eines eleganten kleinen Aluminiumkoffers. Der lange schwarze Mantel ließ ihn eher wie einen Anwalt oder einen Banker aussehen. Die eleganten Slipper waren für das von gefrorenen Schneeresten bedeckte Kopfsteinpflaster denkbar ungeeignet.
Der Fahrer startete den Motor und schaltete die Beleuchtung ein. Er beugte sich weit nach hinten und öffnete mit geübtem Griff von innen die rechte Fondtür. Wackelig wie ein arthritischer Pinguin kam der Mann näher. Er musterte den Mann hinter dem Steuer kritisch, nickte zur Begrüßung und legte den Koffer auf die linke Seite der Rückbank. Kaum hatte sich die schwere Tür mit einem satten Schmatzen geschlossen, fuhr die Limousine los. Zügig aber ohne jede Aggressivität steuerte der Fahrer den Wagen durch die wintergraue Stadt. Nach wenigen Minuten befanden sie sich auf der Autobahn in Richtung Norden.
Gernot Marks vertiefte sich in eine der vier Tageszeitungen, die ihm der Fahrer gereicht hatte. Am Walldorfer Kreuz wich der gehetzte Ausdruck in seinem Gesicht langsam einem leisen Lächeln. Sie hatte an alles gedacht. Genial, die kurzfristige Verlegung von Mannheim nach Bruchsal war ihre Idee gewesen. Den Koffer und sein elegantes Outfit hatte ein Bote am gestrigen Abend in der JVA-Wache abgegeben. Seine alten Klamotten wanderten in die Verbrennung. Sie hätten ihm eh nicht mehr gepasst. Kein Bierbauch, kein Schwimmring um die Hüfte und kein Doppelkinn in einem teigigen rotnasigen Säufergesicht mehr. Das Passbild schien zu einem anderen Menschen zu gehören.
Gernot Marks war frei. Unterwegs in ein neues, erfülltes Leben an der Seite einer der reichsten Frauen der Welt, würde er ein für allemal abschließen mit den Schatten der Vergangenheit. Sie hatte ihm geschrieben, dass alles vorbereitet wäre. Er solle sich überraschen lassen. Es würde ein unvergessliches Erlebnis werden. Sie freue sich auf ihn. Sie könne es kaum erwarten, ihn zu umarmen, ihn willkommen zu heißen. Es ist angerichtet. Genauso hatte sie sich ausgedrückt: Es ist angerichtet.
Vor der Abflugebene von Terminal 2 war nicht viel los. Wenige Busse, keine Autos mit Provinzkennzeichen, die hysterische Urlauberfamilien am falschen Gate ausspuckten, ansonsten die übliche Mischung aus Taxen und silbergrauen oder schwarzen Geschäftswagen. Der Fahrer hielt in zweiter Reihe unmittelbar vor einem der Eingänge. Sein Fahrgast nahm seinen Koffer, stieg aus und winkte ihm zum Abschied freundlich zu. Zielstrebig hielt er auf die großen Glastüren zu. Er schien genaue Anweisungen zu haben.
Ein Taxi hupte ungeduldig und der Fahrer ließ den schweren Wagen sanft anrollen. Feierabend. Auftrag erledigt.
Die beiden Männer in Jeans und Lederjacken, die sich Gernot Marks in den Weg stellten, bemerkte er nicht mehr.
Die riesige Küche mit den gewaltigen Kesseln und Pfannen schien für eine ganze Brigade von Köchen und Helfern geschaffen. In früheren Zeiten klapperten hier tatsächlich bis zu zwanzig Menschen für das Wohl blaublütiger Gesellschaften und ihrer illustren Gastgeber. Heute gehörte sie ihr allein. Das Verwalterehepaar genoss eine Woche Urlaub im Allgäu auf Kosten der „Gnädigen Frau“.
Anna-Sophia Barlow war an jenem bitterkalten Januartag der einzige Mensch in dem pittoresken Sandsteinbau von Waltham-House. Das Menü, das sie heute höchstpersönlich zubereitete, würde jedem Galadinner Ehre bereiten. Feinste Zutaten, edle Weine, Champagner. In den Gefrierschränken warteten Thunfisch und eine handverlesene Anzahl Taschenkrebse auf ihre Verarbeitung. Die blitzenden Messer lagen neben der sorgfältig geschrubbten Arbeitsplatte wie für einen peniblen Chirurgen bereit. Der Küchentrakt wurde seit zwei Tagen beheizt, eine Aufgabe, welche die hochmoderne digital gesteuerte Heizungsanlage des Gebäudes auf Knopfdruck erledigte.
Sie kontrollierte die Temperatur des Weinkühlschrankes, drehte die Flaschen darin sorgfältig um und begann damit, die filigranen Kristallgläser mit einem speziellen Mikrofasertuch zu
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