Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)
erfüllen musste. Wünsche, so fürchterlich und so brutal, dass es selbst abgebrühten Ermittlern den Atem stocken lässt. Caprice Barlow wird zum willenlosen Spielzeug eines pervertierten Sexmonsters, das hemmungslos seine Triebe auslebt und ein junges, blühendes Leben schlussendlich in den Tod treibt.
Danach spielt er so perfekt den trauernden Stiefvater, tröstet seine Lebensgefährtin über den nun schon zweiten tragischen Verlust in ihrem Leben, dass sie auch nicht den leisesten Zweifel an der Betroffenheit und der Verzweiflung des armen Herrn Marks hegt. Das, meine Damen und Herren, ist die Krone dieses abscheulichen Verbrechens, was hier an einem unschuldigen Kind begangen wurde. Es zeigt, dass Gernot Marks ein Mann ist, der wohl Sklave seiner abnormen Triebe ist, zugleich aber auch ein Mensch mit zwei Gesichtern. Ein Schauspieler, der seine beiden Rollen perfekt beherrscht. So beherrscht, dass er sogar eine welterfahrene, hochintelligente Geschäftsfrau wie Anna-Sophia Barlow täuschen kann. Jahrelang täuschen kann …“
Kunstpause. Es herrschte absolute Ruhe im Gerichtssaal.
Glimm fuhr fort. Er senkte die Stimme und wählte einen eher emotionslosen Ton: „Anna-Sophia Barlow hat erst Jahre später durch Zufall dieses Tagebuch entdeckt. Der Tag, an dem sie es aufschlug, die ersten, verklärten, träumerischen Einträge las, die sich Seite für Seite zu einem wahren Horrorszenario entwickelten, war für sie der schlimmste Tag ihres Lebens. Schlimmer noch als der Tag, an dem man sie zu dem Wrack des ausgebrannten Porsche gebracht hatte, in dem ihr Mann bei lebendigem Leibe verbrannt war. Verbrannt worden war, wie wir nun wissen.
Schlimmer noch als der Tag, an dem sie an genau der gleichen Stelle ihr einziges Kind verlor, das sich die Felsen hinuntergestürzt hatte, um zu seinem Vater zu gelangen. Das, was diese Frau zutiefst erschütterte, war die Gewissheit, dass sich dies alles unmittelbar vor ihren eigenen, blinden Augen zugetragen hatte. Dass sie selbst den Mörder ihres Mannes, den Schänder und Mörder ihres Kindes, leidenschaftlich geliebt hatte. Dass sie Trost in den Armen des Mannes gefunden hatte, der systematisch ihre gesamte Familie ausgelöscht hatte.
Nun frage ich Sie, liebe Anwesenden: Was würden Sie tun? Was hätten Sie getan? Was hätten Sie sich zumindest gewünscht, zu tun? Ich bin Jurist. Ich habe gelernt, Funktion und Person penibel auseinanderzuhalten. Ich selbst habe diesen Mann schon verteidigt. Ich habe einen Mordanschlag überlebt. Anna-Sophia Barlow hat auf mich geschossen, weil sie mich mit verantwortlich dafür gemacht hat, dass Männer wie Marks nach relativ kurzer Zeit wieder herauskommen. Herauskommen und wieder auf die Jagd gehen. Ich habe selbst eine Tochter. Als ich dieses Tagebuch las, war ich mir nicht mehr sicher, wie ich an Stelle von Frau Barlow reagiert hätte.
Sie ist eine Mörderin. Das sagt sie selbst über sich. Sie hat einen Menschen getötet und damit nicht nur ein Gesetz, sondern auch eines von Gottes Geboten gebrochen. Sie ist bereit, die Konsequenzen zu tragen. Sie hat alles verloren. Mann, Tochter und sich selbst. Anna-Sophia Barlow beugt sich jedem Urteil, das hier in diesem Raum gesprochen wird.
Mein Plädoyer zielt nicht auf einen Freispruch oder eine besonders milde Strafe. Dieses Plädoyer hat den Sinn, dieser Frau das Monströse zu nehmen. Hier vor Ihnen sitzt ein Mensch, der nichts mehr hat. Ein Mensch, der einmal an die Liebe geglaubt hat und dem Teufel die Hand gereicht hat. Einem Teufel namens Gernot Marks.
Abschließend wiederhole ich noch einmal meine Frage: Was hätten Sie getan? Danke für die Aufmerksamkeit.“
Klack … klack … klack …
Diese letzte Frage des Verteidigers prangte am nächsten Morgen nicht nur auf den bunten Seiten der Boulevardblätter, sondern auch auf den Titelseiten der meisten großen Tageszeitungen:
WAS HÄTTEN SIE GETAN?
Anna-Sophia Barlow und ihrem Anwalt Stephan Glimm wurden von Agenturen und Verlagen astronomische Summen für die Rechte am Tagebuch von Caprice geboten. Doch kein Wort daraus sollte jemals an die Öffentlichkeit dringen. Das war der letzte und einzige Wunsch von Anna-Sophia Barlow, bevor sie sich ohne Widerstand von zwei Justizwachtmeistern in den wartenden Transporter bringen ließ.
Nach dem Plädoyer des Verteidigers war die Stimmung fühlbar umgeschlagen. Die angekündigte Pressekonferenz im Anschluss an die Verhandlung tat ihr Übriges. Glimm hatte es geschafft, aus einem
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