Skulduggery Pleasant 6 - Passage der Totenbeschwörer
unsichtbaren Schnitt durch den Keller. Dann wedelte er in Richtung Treppe. »Geht! Haltet sie auf.«
Die Totenbeschwörer auf der Verliererseite der unsichtbaren Linie starrten ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Das ist ein Befehl!«, brüllte er.
Sie blickten sich an. Zuerst setzte sich einer in Bewegung, dann der nächste und schließlich liefen alle die Treppe hinauf in den Tod.
Er folgte ihnen. Sobald alle draußen waren, schlug er die Tür hinter ihnen zu. Vorher erhaschte er noch einen Blick auf seine Brüder, wie sie zögernd und schwankend auf die sichelschwingenden Ripper zuliefen. Als er die Tür absperrte, hörte er ihre Schreie nicht mehr. Halb stolpernd lief er die Treppe wieder hinunter.
Sechs Totenbeschwörer waren noch im Keller, plus der Weiße Sensenträger und Craven selbst. Alle schauten sie Melancholia an, die mit gesenktem Kopf dasaß. Ihre Kapuze verdeckte ihr Gesicht, sodass Craven unmöglich erkennen konnte, in welcher Stimmung sie war. Wenn in letzter Zeit irgendein Muster erkennbar war, dann dies, dass ihre psychische Labilität im selben Maß zugenommen hatte wie ihre Macht. Er wollte bestimmt nicht Zielscheibe sein, wenn sie das nächste Mal zuschlug. Also gab er dem neben ihm stehenden Totenbeschwörer ein Zeichen.
»Solus, hilf dem Todbringer beim Aufstehen.«
Solus starrte ihn an. »Ich?«
»Zwinge mich nicht, meine Anweisung zu wiederholen«, blaffte Craven und stellte sich sicherheitshalber neben den Weißen Sensenträger.
Solus zögerte, machte einen Schritt und noch einen, bis er vor Melancholia stand.
»Hm«, begann er, »Todbringer? Bist du, hm ... bist du okay? Brauchst du etwas?«
Melancholia blickte nicht auf. Oben waren vor der Tür wieder Schreie und Schmerzenslaute zu hören.
»Es ist nur so«, fuhr Solus fort, »dass wir nicht so schrecklich viel Zeit haben und ... und wir müssen dich wirklich bitten, die Passage einzuleiten, sobald es dir möglich ist.«
»Sagst du mir gerade, was ich zu tun habe?«, kam Melancholias leise Stimme unter der Kapuze hervor.
Craven sah, wie Solus blass wurde. »Nein«, flüsterte er, »ich würde mir nie anmaßen ..." Er konnte nicht mehr weitersprechen, stand einfach nur da und eine Träne rollte ihm über die Wange.
Melancholias Schultern hoben und senkten sich mit einem müden Seufzer. »Ach, Solus.«
»Bitte bring mich nicht um«, flehte Solus.
Melancholia stand langsam auf. »Aber dein Tod macht mich stärker.«
»Bitte. Ich möchte am Leben bleiben.«
»Du bist ein Totenbeschwörer. Du solltest dem Tod freudig entgegengehen.«
»Ich ... ich gehe ihm nicht freudig entgegen ... Ich habe Angst vor ihm ...«
»Ich weiß. Ich weiß, dass ihr alle Angst habt. Das sagt mir, dass keiner von euch wirklich versteht.« Sie zog ihre Kapuze ab, und als sie die Augen öffnete und die versammelten Totenbeschwörer anschaute, waren sie glühend rot. »Ihr seid Scheinheilige, alle miteinander. Ihr redet vom Strom des Lebens und des Todes und davon, wie schön er sei. Doch wahre Schönheit liegt darin, ein Teil davon zu werden, von diesem Leben ins nächste zu fließen. Die Passage jedoch soll diesen Strom aufhalten. Warum?«
Craven zwang sich, vorzutreten und eine gewisse Autorität in seine Stimme zu legen. »Melancholia«, begann er und hoffte, dass es niemandem auffiel, wie hoch seine Stimme klang, »das sind philosophische Fragen, die man am besten den Gelehrten überlässt. Du hast dein volles Potenzial so früh erreicht, dass du noch keine Gelegenheit hattest, dir schlüssige Antworten auf diese Fragen geben zu lassen. Deshalb musst du dich auf unser Urteil und unsere Weisheit verlassen und darauf vertrauen, dass dieses Vorgehen das Beste für alle ist.«
Melancholia lächelte ihn an. »Aber ich traue weder deinem Urteil noch deiner Weisheit, Kleriker Craven.«
Alle Kraft floss aus Cravens Beinen, doch wie durch ein Wunder blieb er aufrecht stehen.
»Die Passage haben Kleingeister sich zurechtgebastelt«, fuhr Melancholia fort. »Die große Ironie ist, dass die Zauberer, die den Tod am meisten fürchten, auch diejenigen sind, die behaupten, ihn am besten zu verstehen. Der Orden der Totenbeschwörer ist ein Orden der Scheinheiligkeit, der Angst und der Unwissenheit. Ihr habt kein Recht, so vom Tod zu sprechen, wie ihr es tut, da ihr euch so offensichtlich an längst überkommene Vorstellungen von Unsterblichkeit klammert. Ihr tut mir wirklich leid.« Craven spürte den Blick sämtlicher Totenbeschwörer auf sich
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