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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Kieran
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bezeichnen. Das langsame Reisen kam in dieser Zeit immer wieder in und aus der Mode, fast immer im Zusammenhang mit Presseberichten zum Thema Umweltschutz. Das kommt mir ziemlich eigenartig vor. Ich glaube, dass ich dem Planeten Erde meinen Respekt erweise – ich trenne meinen Müll und versuche, sparsam mit Wasser umzugehen –, doch in Wirklichkeit reise ich auf diese Weise, weil es einfach interessanter und unterhaltsamer ist. Darüber hinaus habe ich nicht das Gefühl, tatsächlich zu reisen, wenn ich nicht langsam reise.
    Natürlich muss man fliegen, um gewisse Teile des Globus zu erreichen, aber 80 Prozent der Briten reisen hauptsächlich nach Europa. Es ist erstaunlich, dass so viele dabei das Flugzeug nehmen. Flugzeuge sind sicherlich eine großartige Sache, doch für mich besteht kein Zweifel daran, dass das Reisen immer mehr zu einer lästigen Pflicht wird, über die man sich im Stillen beschwert oder die es zu ertragen gilt, seit es Billigflüge und Pauschalangebote gibt. Das bringt uns zu einer unbequemen Wahrheit über die moderne Urlaubsreise. Heute können wir so schnell die ganze Welt umrunden, dass die meisten von uns paradoxerweise gar nicht mehr reisen – sondern nur noch ankommen.
    An der Victoria Station in London kaufte ich ein paar Dinge für meine Reiseapotheke, dann fuhr ich mit dem Taxi nach St. Pancras, wo ich den Eurostar nehmen wollte. Ich hatte eine Reservierung für den Nachtzug von Paris nach Madrid, mit Anschluss nach Marbella am nächsten Morgen. Im Taxi kam ich mir auf einmal ziemlich durchtrieben vor, als würde ich die Schule schwänzen. All die Menschen, die das Flugzeug nahmen, befanden sich nun in einem künstlich beleuchteten Warteraum, inmitten von langweiligenBars und Boutiquen. Sie reisten nicht länger, sie waren zu einem Frachtgut geworden, dem in der Abflughalle das Geld abgenommen wurde, bevor es überprüft, gewogen und in einem engen Flugzeugsitz verstaut wurde. Bald würden ihre Körper nach Schusswaffen, Bomben und Messern durchsucht werden, und jene, die Babys dabeihatten, mussten beweisen, dass ihre Nuckelflaschen mit abgepumpter Muttermilch kein Nitroglyzerin enthielten, indem sie einen Schluck daraus nahmen.
    Natürlich sind viele Menschen völlig zufrieden damit, auf diese Weise transportiert zu werden, trotz der Verspätungen, der Sicherheitskontrollen und, falls sie mit einer Billigfluglinie unterwegs sind, der wilden Drängelei um die Sitzplätze, doch es bleibt eine Tatsache, dass ihre Mobilität für die Dauer der Reise eingeschränkt ist und ihr Geist mit ewig gleichen Bildern und Filmen gefüttert wird, die auf einem kleinen Bildschirm erscheinen. Nach einigen Stunden werden sie an einem anderen Flughafen abgeliefert. Heutzutage wird die Welt von globaler Marktpolitik bestimmt, die die Strukturen und Vorstellungen unseres Lebens homogenisiert, und jemand, der sich von seinem zu Hause in der westlichen Welt über einen Flughafen mit angegliedertem Einkaufszentrum an Bord eines Flugzeugs begibt, in dem er seine Lieblingssendungen aus dem westlichen Fernsehen gezeigt bekommt, bis er an einem anderen Flughafen wieder abgeliefert wird, von dem ihn ein Taxi ins Hotel bringt – das er ausgesucht hat, weil es westliches Essen und westliche Unterhaltung bietet –, hat sich sicherlich fortbewegt. Doch es fragt sich, ob er wirklich irgendwo anders angekommen ist.
    Auch die Anzeigetafeln in der Abflughalle eines Flughafens täuschen einen mit ihrer Funktionalität, während jene auf Bahnhöfen meine Fantasie anregen. Ich ertappe michimmer dabei, wie ich darüber nachsinne, wer ich alles hätte sein können und welche verschiedenen Leben ich hätte führen können.
    In St. Pancras angekommen, passierte ich die Sicherheitskontrolle, und 25 Minuten später rollte ich bereits nach Paris. Im Eurostar überkommt mich immer eine romantische Abenteuerlust. Ich habe viele Jahre in London gelebt und fand es immer großartig, dass jederzeit die Möglichkeit bestand, sich in einem Fernzug davonzumachen. Heute ist mir klar, dass sich mein Hang zum »langsamen« oder »müßigen« Reisen in dieser Stadt zu entwickeln begann, und zwar auf eine völlig ungeahnte Weise.

    Ich zog nach London, als ich einundzwanzig war, und blieb bis zu meinem 33. Lebensjahr dort. Der Umzug beunruhigte mich, denn ich war in einer Kleinstadt auf dem Land aufgewachsen. In dem Versuch, ein eigenes Gefühl für diese riesige und scheinbar unüberschaubare Stadt zu entwickeln, entschied ich mich

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